Der Weiler Lützerath ist Geschichte. Seine Symbolik wird bleiben.
Worum ging es eigentlich? Nicht um die Rettung des Klimas durch den Abbau der Kohle unter diesem winzigen Fleckchen Erde!
Denn in dieser Hinsicht waren die Argumente derjenigen, die Lützerath retten wollten, zu schwach. Ob wir diese Kohle in der jetzigen, durch Putins Krieg geschaffenen prekären Situation wirklich brauchen, ist umstritten und zu einem erheblichen Teil ein auf Mutmaßungen beruhendes Zahlenspiel. Das 1,5-Grad-Ziel reißen wir auch, wenn dort keine Kohle abgebaut würde. Am Gesamtausstoß an CO2 hätte sich nämlich nichts geändert. RWE hätte dann seine nicht genutzten Verschmutzungszertifikate entweder woanders eingesetzt oder gleich an andere Verschmutzer verkauft. Der Dreck wäre nur woanders in die Luft gegangen.
Daran ließe sich ja durchaus etwas ändern, aber dazu müsste die Menge an CO2 -Emissionen deutlich reduziert werden, wodurch allerdings der Preis der verbliebenen Zertifikate stiege. „Was?“, höre ich alle schreien. „Gerade jetzt, wo Energie doch ohnehin schon für viele unbezahlbar wird?“. Welcher Politiker will sich das anhören?
Das Paradoxe an der heutigen Situation ist ja, dass zumindest ansatzweise das passiert, was umweltpolitisch schon lange notwendig wäre, nämlich dass Umwelt endlich ihren Preis bekommt. Einen Preis, der ihren Wert widerspiegelt. Alle, die mit der Materie vertraut sind, waren schon immer dafür; auch viele Verbraucher. Seit Jahrzehnten kennen wir die Forderung nach der Internalisierung externer Kosten, sprich, dass die unsere Umwelt nutzenden und verschmutzenden Produzenten und Verbraucher dafür bezahlen; dass die Kosten für die Behebung der Schäden in die Preise einfließen. Immer wieder hat sich die Mehrheit dafür ausgesprochen. So lange, bis es wirklich geschieht.
Aus Angst gleichermaßen vor der Wirtschaftslobby wie vor dem Wähler hat es die Politik weder in Deutschland noch in Europa noch sonst wo auf der Erde gewagt, diesen Ansatz konsequent in die Tat umzusetzen. So banal diese Wahrheit ist – Umwelt- und Klimaschutz ist nicht umsonst und je länger wir warten, umso teurer wird es werden – so ignorant verhält sich die Menschheit nach wie vor. Wirtschaftswachstumswunderglaube, Nach-mir-die-Sintflut-Denken, das Bewusstsein (und die wohlfeile Ausrede), alleine die Welt auch nicht retten zu können, Unwissenheit und selbst gewählte Ignoranz. Es gibt viele Gründe, warum viel zu wenig viel zu langsam getan wird.
Und deshalb hatten die Menschen recht, die sich in Lützerath versammelten. Um der Symbolik willen. Um ein Zeichen zu setzen gegen die immer wieder neu gefundenen Argumente gegen konsequenten Umweltschutz. Nicht gerade hier. Nicht gerade jetzt. Nicht so schnell. Die Wirtschaft. Die Wähler. Die anderen machen ja nicht mit.
Es war ein aussichtsloser Kampf, denn anders als im Fall Hambacher Forst hatte ein Gericht zugunsten von RWE entschieden. Und eine neue Landesregierung hatte einen Kompromiss ausgehandelt. Lützerath gegen einen um acht Jahre vorgezogenen Kohleausstieg. In einem demokratischen und rechtsstaatlichen Verfahren wurden politische und juristische Entscheidungen gefällt. Man muss sie nicht gutheißen. Man darf und muss auch dagegen protestieren und der Öffentlichkeit zeigen, was da nach eigener Ansicht falsch läuft. Aber es muss ebenso klar sein, dass diese Entscheidungen auch umgesetzt werden.
Der Sinn solcher Proteste und ihrer Symbole liegt in der Öffentlichkeitswirkung, in dem Ziel, die öffentliche (und veröffentlichte) Meinung im Laufe der Zeit zu beeinflussen und den Boden zu bereiten für Veränderung und Reformen. Das legitimiert Protestcamps und Blockaden, ob früher in Wackersdorf oder heute in Lützerath.
Doch genau das ist die Krux der Umweltbewegung. Diese Zeit haben wir nicht mehr! Das spüren Umweltaktivisten überall auf dieser einen Erde, und das geht ihnen viel mehr unter die Haut als den Zuschauern an Monitoren und Displays. Deshalb besitzt Lützerath auch eine zweite Symbolik: Die Zwecklosigkeit dieses Kampfes. Lützerath ist Geschichte. Die Kohle wird verheizt. Das enttäuscht, frustriert, macht verzweifelt.
Neuerdings ist viel die Rede von Klimaterroristen. Alexander Dobrindt warnte vor einer Klima-RAF. So populistisch und manipulativ die Absicht hinter solchen Äußerungen, so nüchtern muss man feststellen, dass sie nicht aus der Luft gegriffen sind! Gewalt und seine extremen Formen des Terrorismus entstehen aus Verzweiflung, aus dem Gefühl, nichts anderes könne mehr helfen, aus dem Bewusstsein und der Erfahrung der Machtlosigkeit. Das ist völlig unabhängig von den Zielen, denen sich ein Einzelner oder eine Bewegung verschrieben hat.
Es nützt nichts, die Augen davor zu verschließen, nur weil sie aus dem Munde jener kommt, die selbst jahrzehntelang zur heutigen Situation, auch in Ministerämtern, beigetragen haben und jetzt ihr übles politisches Süppchen kochen wollen. Immer mehr Menschen verzweifeln, vor allem junge Menschen, die ihre eigene Zukunft bedroht sehen und erst recht die ihrer Kinder, wenn sie denn noch welche in eine Welt setzen wollen, die immer lebensfeindlicher werden wird. Wenn nicht endlich Entscheidendes geschieht.
Man sagt ihnen, was ja auch richtig ist: In einer Demokratie muss man sich Mehrheiten beschaffen, auf friedlichem Wege, wenn man etwas verändern will. Man muss, auch das stimmt, die Menschen mitnehmen. Was aber, wenn man auf die letzten 50 Jahre blickt und feststellt, dass frühere Generationen es verpennt haben? Wenn man feststellt, dass allen gegenteiligen Entwicklungen zum Trotz die Politik an dem längst illusorisch gewordenen Ziel (1,5 Grad) festhält, wenn technologische Lösungen versprochen werden, die, selbst wenn sie Wirklichkeit würden, erst zu einem Zeitpunkt Rettung versprechen, zu dem der Patient im Koma liegt? Dann wachsen Hilflosigkeit und Verzweiflung. Und dann wächst auch die Verlockung der erzwungenen Veränderung, der Selbstermächtigung durch Gewalt.
Wie sagte Florian Özcan, der Sprecher von „Lützerath lebt“? „Wir müssen uns schon fragen, ob friedlicher Protest in einer Demokratie noch das ist, was etwas bringt. Dieser Protest hat nichts gebracht.“
Die Enttäuschung, die aus diesen Worten spricht, ist nur allzu verständlich. Aber sie ist auch immens gefährlich. Insbesondere da zu einer Handvoll frustrierter Umweltaktivisten all jene kommen, die unter den ökologischen und sozialen Folgen diverser Umweltkatastrophen leiden und leiden werden.
Wer eine desaströse Eskalation verhindern will, darf sich nicht begnügen mit populistischen, hetzerischen Schlagzeilen und Gesetzesverschärfungen. Dagegen hilft allein eines: Radikalität! Nicht der Besetzer, Blockierer und Demonstranten, sondern der politischen Entscheidungsträger. Wer Gewalt verhindern will, muss jetzt endlich bereit sein, konsequent einen ökologischen Systemwechsel herbeizuführen. Viel Zeit bleibt nicht mehr.