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Allgemein Der tägliche Wahnsinn

Eigentlich

Hanau. Eigentlich sollte man nicht darüber schreiben. Schreibe ich. Wahrgenommen werden, darum ging es dem Täter. Also sollte man ihm diesen Wunsch nicht erfüllen, kein Bild von ihm veröffentlichen und seinen Namen für immer tot-schweigen. Wer anonym bleibt, ist auch kein Held für Nachahmer.

Aber natürlich geht das nicht. Es gibt Menschen, die den Täter kannten. Und man muss über den heimtückischen Mord an 10 Menschen berichten – aber so unspektakulär und wenig sensationsheischend wie möglich. Und natürlich muss über Ursachen, Hintergründe und Motive geredet werden. Und die Frage beantwortet werden, ob es sich wirklich um einen Einzeltäter handelt, oder es Kontakte zu anderen Menschen gegeben hat, die in einer rassistischen Parallelwelt leben und in ihrer verzweifelten Vereinsamung zu ähnlichen Taten fähig wären.

Natürlich werden in den nächsten Tagen auch wieder tausende Artikel geschrieben und Vorschläge gemacht werden, wie man solche Taten verhindern kann, aber da ist mit wenig Effektivem bzw. demokratisch Akzeptablem zu rechnen.

Natürlich kann man Polizei und Geheimdiensten den kompletten Zugriff auf alle Netzwerke erlauben und, beispielsweise mit Hilfe von Algorithmen, nach hetzerischen, rassistischen, zu Gewalt aufrufenden Texten und mutmaßlich psychotischen Verfassern durchforsten lassen – und diese dann anschließend ständig überprüfen und überwachen. Dass solche Maßnahmen sowohl logistisch, als auch datenschutz- und verfassungsrechtlich mehr als fragwürdig sind, muss gar nicht erläutert werden.

Man könnte alle Nutzer zwingen Klarnamen zu verwenden, um zu verhindern, dass Menschen, die Hass, Hetze und ihre eigenen Minderwertigkeitskomplexe im Netz verbreiten, sich in einer anonymen Masse verstecken. Aber jeder weiß, wie wichtig es in vielen Ländern ist, Kritik an Regierungen und Eliten üben zu können, ohne den Sicherheitsbehörden gleich die Adresse mitzuteilen, unter der man sie verhaften kann. Diesen Schutz brauchen sie auch in Deutschland.

Dringend geboten wäre aber, größeren Druck auf die Netzwerkbetreiber auszuüben entsprechende Posts sofort zu löschen und vor allem Sicherheitsbehörden zu informieren, sobald Drohungen im Spiel sind. Allen muss klar werden, dass es sich hierbei nicht um etwas überzogene Meinungsäußerungen handelt, sondern sozialer Zusammenhalt und Sicherheit auf dem Spiel stehen. Man kann, wie Seehofer, fordern die Polizeipräsenz zu erhöhen (als hätte dies im Geringsten dazu beigetragen die Morde in Hanau zu verhindern). Man kann die Waffengesetze verschärfen. Das alles wird nichts an der Existenz von Psychopathen, Rassisten und gesellschaftlichen Verlierern ändern.

Woran man aber vielleicht doch etwas ändern kann, ist die aufgeheizte Atmosphäre in sozialen Netzwerken, die derart strukturierten Menschen den nötigen Resonanzboden liefern, die ihren Hass befeuern und Bestätigung geben für ihre kruden Verschwörungstheorien, und sie irgendwann den letzten Schritt tun lässt von der Fantasie in die Tat. Die angebliche ‚Community‘ müsste sich wirklich als solche erweisen, indem, sollte man diese Personen kennen, die Klarnamen geoutet werden. Indem die Gemeinschaft jede Hassmail mit tausenden Widersprüchen beantwortet und all jene öffentlich ächtet, die ihre eigene charakterliche Mickrigkeit mit Beleidigung, Herabwürdigung und Gewaltandrohung zu übertünchen sucht. Indem mehr nachgedacht und weniger reflexhaft geliket wird. Das würde zumindest etwas an dem aggressiven Klima der Netzwerke ändern, und Hetzern zeigen, dass sie eben nicht für die schweigende Mehrheit sprechen. Vor allem würde es all denen Rückendeckung geben, die im öffentlichen Leben stehen, wie Politikern und Journalisten, die auf das Internet angewiesen sind, genauso wie all denen, die das Internet als echtes Kommunikationsmittel betrachten, Meinungen austauschen, den Horizont erweitern, Informationen sammeln und teilen wollen. Gerade diese Menschen ziehen sich mehr und mehr zurück, weil sie die permanenten Angriffe und Beschimpfungen, die unverhohlenen Drohungen, diesen ganzen täglichen Shitstorm nicht mehr ertragen.

Wir dürfen das Netz nicht dem Pöbel überlassen.

Naiv. Ich weiß.

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