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Allgemein Artikel und Essays Der tägliche Wahnsinn

Notizen aus einem seltsamen Land

–      Ein weißer Polizist stößt einen friedlichen alten Mann heftig zu Boden, weil er sich von ihm belästigt fühlt. Oder hat er Angst hinter seinem Visier, mit seiner Pistole und seinem 60-cm-Schlagstock? Oder lässt er einfach seinen Frust darüber aus, dass es Bürgern erlaubt ist zu demonstrieren? Oder macht es ihm einfach Spaß? Der Mann schlägt hart auf, bleibt regungslos liegen, Blut läuft ihm aus dem Ohr. Ein Polizist zeigt Mitgefühl und will sich um den Mann kümmern und wird von einem Kollegen weggezogen. Warum? Weil er es wagt mit einem Cop zu sprechen? Weil er es nicht anders verdient hat? Weil er einfach verrecken soll? Weil es für diesen Polizisten völlig normal ist in seinem Alltag Bürger malträtieren?

57 Kollegen quittieren daraufhin ihren Dienst in der Notfallbereitschaft. Als ich die Schlagzeile sah, dachte ich zunächst aus Protest gegen dieses Verhalten. Aber weit gefehlt. Aus Protest gegen die Suspendierung der beiden Kollegen, denn die hätten schließlich nur den Befehl ausgeführt, eine Demonstration aufzulösen. Also doch. Es geht um das Recht Bürger, die einem nicht passen, verprügeln zu dürfen. Warum sonst macht man diesen Job? (Schon bei meinem ersten USA-Aufenthalt 1982 gab es Werbeplakate in der New Yorker U-Bahn: zu sehen waren eine Polizeimütze, ein Stern, ein Walkie-Talkie und ein Gummiknüppel; dazu der Spruch: Stop feeling powerless – Join the police!) Ich glaube, denen ist nicht einmal im Entferntesten der Gedanke gekommen, dass man die Situation auch anders hätte lösen können.

–      Vielleicht hatten die beiden an einer Fortbildung teilgenommen für, so die Kurswerbung, „kugelsichere Krieger“ im „alltäglichen Häuserkampf“ (zum Thema Polizeiausbildung s. z.B. https://www.youtube.com/watch?v=ETf7NJOMS6Y; https://www.nytimes.com/2016/07/15/us/minnesota-police-officers-bulletproof-warrior-training-is-questioned.html)

–      Die Polizei in den USA rekrutiert sich überwiegend aus Söhnen von Polizisten und ehemaligen Armeeangehörigen.

–      Bei Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus werden gezielt Pressevertreter attackiert. Eine Journalistin verliert ein Auge durch ein Gummigeschoss. Man mag keine Zeugen. Und Trump hat ihnen ja bestätigt, dass Medien nur Lügen verbreiten und „Feinde des Volkes“ sind. Und das Volk sind wohl in erster Linie Polizisten.

–      Auch Bob Kroll, der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft in Minneapolis, kann nicht erkennen, dass Derek Chauvin, der Mann, der George Floyd tötete, irgendetwas falsch gemacht hat. Auf dem Genick eines Schwarzen zu knien gehört halt zum Polizistenalltag, das lernt man eben so über den Umgang mit Schwarzen. Deshalb hat er angekündigt alles dafür zu tun, dass alle vier Polizisten nicht nur freigesprochen, sondern auch wieder in den Dienst eingestellt werden. Klar, was ist denn auch besonderes passiert? War doch reine Routine. Übrigens wurde Kroll schon mehrfach wegen Brutalität und rassistischen Beschimpfungen angezeigt, und einmal selbst wegen Gewalttätigkeit im Dienst suspendiert. Black lives matter bezeichnet er als Terrororganisation. So gesehen hat Derek Chauvin in Notwehr gehandelt. Wundert es jetzt noch, dass Kroll eine Motorradjacke trägt, auf der „White Power” prangt? Alles ganz normal.

Übrigens verkauft die Polizeigewerkschaft in Minneapolis “Cops for Trump” T-Shirts.

–      Dieses Jahr wurden bereits 429 Personen von der Polizei erschossen; darunter wie üblich überproportional viele Schwarze (88). Das Risiko eines Schwarzen von der Polizei erschossen zu werden ist fast dreimal so hoch wie das eines Weißen. In Los Angeles ist es sechsmal so hoch. (Interessante Informationen finden sich z.B. auf https://mappingpoliceviolence.org/)

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