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Oma ihr klein Häuschen

Man kann ihn schon hören, den Aufschrei: Die Grünen wollen der Oma ihr klein Häuschen nehmen! In Hamburg-Nord wurde unter der Ägide der Grünen (zusammen mit der SPD) der Bebauungsplan geändert und der weitere Bau von Einfamilienhäusern verboten. Und das sieht das Wahlprogramm auch für andere Regionen vor. Ausgerechnet in Corona-Zeiten, in denen der Deutschen liebster Traum vom eigenen Häuschen mit Garten, Grill und Jägerzaun besonderen Aufschwung erfährt. Insofern muss man die Entscheidung als mutig bezeichnen, denn sie könnte das eine oder andere Prozent an Stimmen kosten bei den zahlreichen Wahlen in diesem Jahr.

Schon wettern der Hamburger Wirtschaftsrat und die CDU, ein „Traum linker Ideologen“ sei wahr geworden, und die Grünen hätten „ihre grundsätzliche Abneigung gegenüber Eigentum unter Beweis gestellt“. Also aufgepasst, demnächst nehmen sie euch noch eure Einbauküchen. Selbst der Spiegel warnte düster: “Das neue grüne Wohnideal kommt aus dem Osten!” Klar, von da kann ja nichts Gutes kommen, außer Sozialismus und Plattenbauten. Ob solche Reaktionen daran liegen, dass da gut bezahlte Journalisten Angst haben, sich nicht mehr in den Speckgürteln breitmachen zu können?

Der Hamburger Senat hat beschlossen, jährlich 10.000 neue Wohnungen zu schaffen. Wie das mit Eigenheimen geschehen soll, sagen weder Wirtschaftsrat noch CDU noch Spiegel-Redaktion. Obwohl auch sie bemerkt haben dürften, dass sie nicht in den Weiten Amerikas oder Kanadas leben. Sie fordern weiterhin und mehr Baukindergeld und Steuererleichterung etc. Mit dem Grundproblem, das hinter der Entscheidung steckt, beschäftigen sie sich lieber erst gar nicht. Genau so wenig erwähnen sie, dass das Verbot nicht generell, sondern nur für bestimmte Gebiete gelten soll.

Ein paar Hintergrundfakten:

  • Der Anteil der Single-Haushalte, die nun wirklich kein Einfamilienhaus benötigen, wächst seit Jahren kontinuierlich, auf mittlerweile 42 % aller Haushalte!
  • Einfamilienhäuser verbrauchen beim Bau und bei der Nutzung deutlich mehr Ressourcen als Mehrparteienhäuser (vom immer knapper werdenden und mittlerweile zum Schmuggelgut gewordenen Sand bis zum täglichen Energieverbrauch).
  • In ländlichen Regionen steht sicher noch mehr Fläche für Eigenheime zur Verfügung, aber auch dieser Raum wird knapper und ökologisch immer wertvoller, für das Mikro- wie das Makroklima wie für die Artenvielfalt. Gerade erst hat die EU-Kommission ein Strafverfahren vor dem Europäischen Gerichtshof gegen die Bundesregierung angestrengt, da Deutschland trotz Mahnungen und Vertragsverletzungsverfahren nach wie vor nicht genügend sogenannte Flora-Fauna-Habitate (nicht kommerziell genutzte Naturflächen) ausgewiesen hat. Über das Abholzen des brasilianischen Regenwaldes herziehen ist wohlfeil und verleiht ein Mäntelchen politischer Korrektheit. Zwei Prozent als Wildfläche auszuweisen (mehr werden von der EU-Richtlinie gar nicht verlangt), dazu hat es bei uns bisher nicht gereicht. Deutschland kommt aktuell gerade mal auf 0,6 %. Aber vielleicht blieb diversen Regierungen ja auch zu wenig Zeit. Schließlich stammt die Richtlinie aus dem Jahr 1992!

Nun war die Geschichte vom Eigenheim für alle schon immer teilweise verlogen, zumindest illusionär. Sie war nie real für Städte und erst recht nicht für Großstädte. Und sie war nie realistisch für einen großen Teil der Bevölkerung, nicht nur in Ballungsgebieten, einfach weil die finanziellen Ressourcen nicht vorhanden waren und sind, weil die Zukunftsplanung mit prekären Jobs schwierig ist, weil man nicht zu den privilegierten Erben gehört. Daran haben alle Maßnahmen zur Förderung des Wohneigentums nichts geändert, deren Gelder vorwiegend in die Taschen der oberen Mittelschicht geflossen sind.

Natürlich kann man den Wunsch nach einem eigenen Haus nachvollziehen, geht es doch nicht nur um den materiellen Wert, sondern auch um Unabhängigkeit und Sicherheit. Heutzutage aber müssen neue Fragen beantwortet, zusätzliche grundsätzliche Zielkonflikte berücksichtigt werden.

Heute stehen Stadtverwaltungen vor der Frage: Was soll mit einem im neuen Flächenplan ausgewiesenen Bebauungsgebiet geschehen, für das weiterer und immer knapper werdender Naturraum versiegelt wird? 50 Eigenheime für 50 zumindest relativ solvente Familien und somit Wohnraum für 150 – 200 Personen (und das ist statistisch großzügig gerechnet)? Oder 1.500 Wohnungen für 2, 3 oder 4.000 Personen? Womöglich mit Mietpreisdeckel oder gleich als Sozialwohnung für die Masse an Menschen, die in großen Städten keine bezahlbare Wohnung finden? Macht es nicht mehr Sinn, darüber hinaus Wohnraum zu schaffen für all die neuen Lebens- und Wohnformen, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben, wie Mehrgenerationen-Häuser, Alten-WGs und Wohn- und Arbeitskollektive?

Die Beantwortung dieser Fragen hat durchaus das Potenzial, zu einem symbolischen Konflikt zukünftiger Politik insgesamt zu werden, stehen sich hier doch zwei zentrale Prinzipien einer demokratischen Gesellschaft gegenüber – das Individualprinzip und die Verpflichtung auf das Allgemeinwohl. Beiden muss Politik gerecht werden – und gleichzeitig immer knapper werdende Ressourcen im Interesse aller schonen. Keine leichte Aufgabe. Der Ansatz von Grünen und SPD in Hamburg ist grundsätzlich richtig. Hoffentlich finden sich noch viele Kommunen, die diesen Mut haben.

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