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Artikel und Essays Der tägliche Wahnsinn

Unbelehrbar

Die Äußerungen von Ausgrenzungsminister Stamp haben zahlreiche Reaktionen hervorgerufen, zunächst überwiegend kritisch. Jetzt melden sich massiv die Unterstützer zu Wort, in Foren und Leserbriefen. Zum Beispiel im Kölner Stadt-Anzeiger.

Völlig unbeirrt von Fakten (die z.B. auch dem KStA zu entnehmen sind) und fern jeder Empathie schwelgt man in Desinformationen und Klischées und heiligem St. Florian. Da wird auf die reichste Frau Afrikas verwiesen, obwohl die meisten Flüchtlinge, um die es hier geht, aus Syrien, dem Irak, der Türkei und Afghanistan kommen. Seenotrettung ja, aber die sollen gefälligst nicht zu uns kommen. Seenotrettung nein, denn dann machen sich noch mehr auf den Weg zu uns – oder ersaufen (wie mitfühlend).

Die Behauptung, Seenotrettung und Aufnahmebereitschaft würden zu vermehrten Flüchtlingsströmen führen, ist schon lange widerlegt und verschließt die Augen vor den wahren Fluchtursachen. Vor (Bürger-)Krieg und Hunger fliehen Menschen seit langem, und als sich die ersten auf den Weg über das Mittelmeer machten, hat das bei uns noch kaum jemand mitbekommen, und an private Seenotrettung hatte man noch nicht einmal gedacht. Und wenn die Zahlen steigen, so ist der Hintergrund immer eine Verschärfung der Lage in den Krisenländern (s.a. die neuen Fluchtbewegungen hervorgerufen durch die Erdogan-Offensive).

Was natürlich mal wieder nicht fehlen darf, ist der Hinweis, es handele sich ja ohnehin ‘nur’ um Wirtschaftsflüchtlinge – ein Begriff, der zum Unwort des Jahrhunderts erklärt werden sollte. Dieser scheinbar rationale Begriff dient nämlich allein einem perfiden Ablenkungsmanöver, und dahinter verbirgt sich eine zutiefst unsolidarische und egoistische Haltung. Er suggeriert zudem: die haben hier eigentlich nichts zu suchen.

Wirtschaftsflüchtlinge – das sind in Wirklichkeit Menschen, die um Steuern zu sparen ihr Geld in die Schweiz und all die Steueroasen rund um den Globus verschieben. Wirtschaftsflüchtlinge sind Menschen, die ihren Wohnsitz nach Monaco und Lichtenstein verlegen. Das sind Menschen, die ihre Produktionsstätten in Billiglohnländer verlagern, und sobald sich ein neues Billigstlohnland findet, ihre Fabriken wieder schließen.

Menschen hingegen, die keinerlei Zukunft in ihrer Heimat sehen, und die ihren Kindern ein besseres Leben bieten wollen, die dem Hunger entfliehen wollen, Menschen, für die ein ganzes Dorf sein letztes Hemd hergibt, damit sie in Europa ihr Glück versuchen können, das sind keine Wirtschaftsflüchtlinge – das sind Armutsflüchtlinge.

Und Menschen, die ihre Kinder alleine auf diese Reise schicken, sind vor allem eines: verzweifelt. Wieso unterstellt man den Eltern Herzlosigkeit? Als würden sie das so mir nichts, dir nichts beim nicht vorhandenen Mittagessen beschließen. Ja, sie hoffen auf unser Mitleid, das stimmt. Aber ist es etwa weniger herzlos ihnen dies zu verweigern? Uns Wohlstandsgesättigten mag das unbegreiflich sein, aber wie war das noch nach dem Fall der Mauer mit den (geschätzt) rund 20.000 in der Ex-DDR von ihren Eltern zurückgelassenen Kindern? Hatten die vergleichbare Gründe?

Darüberhinaus verweigert der Vorwurf des Wirtschaftsflüchtlings solchen Menschen etwas, das wir für uns selbst völlig selbstverständlich in Anspruch nehmen, nämlich das Streben nach einem besseren Leben! Als hätten wir dieses Recht allein für uns gepachtet. Als Europa von politischen und ökonomischen Krisen geschüttelt wurde, flohen Millionen in andere, sicherere Ländern, und man kann unzählige heroische Geschichten über sie lesen. Wenn Menschen aus Deutschland, aus einem der reichsten und friedlichsten Länder der Erde, in die USA oder nach Australien auswandern, um dort ihr Glück zu suchen, dann machen wir daraus eine Doku-Soap. Wenn Menschen aus elenden Verhältnissen fliehen und nichts weiter wollen als ohne Angst zu leben und täglich satt zu werden, dann bezichtigen wir sie nur des schnöden Mammons wegen zu kommen. Dann machen wir alle Schotten dicht. Nein, teilen wollen wir unseren Wohlstand nicht. Nach dem Motto: selbst fressen macht fett.

Das ist einfach nur bigott und widerwärtig.

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