Dass die Wirtschaft, dass insbesondere Hotels und Gaststätten unter Covid-19 leiden, weiß ich. Dass geholfen werden muss auch. Bei manchen Vorschlägen frage ich mich allerdings, wie kurzsichtig diejenigen sind, die sie machen.
Wie Ingrid Hartges, Hauptgeschäftsführerin der Dehoga, des Branchenverbandes des Gastgewerbes, und Paul Lehrieder, freiwilliger Cheflobbyist der Tourismusindustrie in der CSU, die der Meinung sind, das Verbot für Heizpilze, das viele Städte, wie Berlin oder Hannover ausgesprochen haben, solle aufgehoben werden, um ansteckungsunbedenkliche Außengastronomie möglichst lange zu ermöglichen. Die Gründe für diese Verbote (je nach Stadt von generellen bis zu selektiven Verboten, etwa gasgetriebener Heizstrahler) dürften Frau Hartges und Herrn Lehrieder bekannt sein – oder muss man annehmen, dass die Umweltdiskussion völlig an ihnen vorbei gegangen ist, dass alle anderen überlebenswichtigen Aufgaben der Menschheit von der Mission, der sie sich verschrieben haben, in den Schatten gestellt werden? Oder glauben sie ohnehin nicht mehr, die Klimakatastrophe ließe sich noch verhindern? Das könnte man ja noch nachvollziehen.
Zwei Tage zuvor verkündeten Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts in Bremerhaven eine Rekordschmelze des grönländischen Eisschildes für 2019. Die Forscher der Ohio-State-University sind sogar der Meinung, der weitere dramatische Eisverlust Grönlands sei nicht mehr zu stoppen. Nicht mitbekommen, Frau Hartges, Herr Lehrieder? Stattdessen die Speisekarte studiert und in Katalogen geblättert? Ach ja, und heute, am 22. August, ist der Earth Overshoot Day, der Erdüberlastungstag. Das heißt, ab morgen verbrauchen wir mehr Ressourcen als uns die Ökosysteme der Erde pro Jahr zur Verfügung stellen (1971 war das mal der 21.Dezember!). Wirklich gutes Timing für Heizpilzwerbung, oder? Ich mein, Leute, wir müssen uns im Sommer gerade an Dauerhitze gewöhnen und an Joggen bei 40 Grad im Schatten, den wir kaum noch finden unter Bäumen, die schon im Juli die Blätter abwerfen, und dann sollen wir im Winter bei klimatisch neuzeitlichen 10 Grad plus vor unseren Stammkneipen und Lounges schlottern? Sollen wir uns etwa stattdessen in Decken hüllen? Die sehen doch sowas von Scheiße aus, boah ey, da sieht man doch meine Tattoos gar nicht mehr!
Die 532 Milliarden Tonnen Eis, die letztes Jahr allein in Grönland verloren gingen, verursachen übrigens einen Anstieg des globalen Meeresspiegels um 1,5 Millimeter. Eine Winzigkeit. Genauso eine Winzigkeit wie der Beitrag der Heizpilze zu CO2-Ausstoß und Klimaerwärmung. Aber wie bei allen anderen Maßnahmen gilt auch hier: wenn wir überhaupt noch eine Chance haben wollen, müssen wir überall die Klimabelastung reduzieren und unsere Umwelt schonen, wie klein der Beitrag auch immer sein mag. Vor allem, wenn die Belastung nun wirklich problemlos zu vermeiden ist. Kein Schwein – halt – nur Umweltschweine brauchen Heizpilze!
Ihr wollt gerne draußen sitzen? Will ich auch. Und das nicht erst seit Corona. Ich bin ein Frischluftjunkie. Wie wäre es dann mit ein bisschen Fantasie, mit Kreativität? Jetzt mal ran ihr Mode-Designer, ihr Fashion-Freaks, und entwerft ein paar coole Decken für Restaurant- und Kneipengäste. Ach was, was sage ich: her mit den open-air covers, den outdoor tops, den lounge bar ponchos, mit und ohne Hoodie. Von mir aus auch armfrei. Dann helfen wir nicht nur allen Kneipiers, sondern heizen (!) sogar die Textilbranche an!
Oder strickt euch doch selber was. Oder zieht einfach einen dicken Pullover an. Oder eine Strickjacke. Oder einen Mantel. Wenn ich bei Kälte draußen sitzen will, zieh ich mich einfach warm an. Ich mein ja nur.