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Die Ajatollahs der Kulturszene

Was geht denn hier ab? Dieter Nuhr wird von der Deutschen Forschungsgesellschaft aufgefordert, einen Beitrag zu einer Online-Aktion zu ihrem hundertsten Geburtstag abzugeben, macht das auch, und dann wird sein Kommentar nach Protesten von der Webseite genommen. Okay, mittlerweile kann man ihn wieder hören, aber die prompte Reaktion auf die massive linke Kritik, die Angst vor Negativschlagzeilen wegen politischer Inkorrektheit ist schon erschütternd. Schließlich ist Nuhr sicher nie ein Linker gewesen, aber er ist auch kein Nazi, auch heute nicht, auch wenn er sich immer weiter in eine konservativ-apologetische Richtung entwickelt hat. Er mag sich in seiner – scheinbaren, aber jetzt ja schon fast bestätigten – Märtyrerrolle als einziger aufrechter Linken- und Meinungsdiktaturkritiker gefallen, aber er bleibt dennoch ein demokratisch legitimer Querkopf, dem man nicht den Mund verbieten sollte!

Lisa Eckhart wollte auf dem Harbourfront-Literaturfestival aus ihrem neuen Roman vorlesen. Und wurde nach Protesten und Drohungen aus der linken und der autonomen Szene wieder ausgeladen, weil, so die Veranstalter, „es unseres Erachtens sinnlos [ist], eine Veranstaltung anzusetzen, bei der klar ist, dass sie gesprengt werden wird”.

Ich sage es mal so drastisch wie sich diese Meinungspäpste verhalten: ich finde euch widerlich, und mit links habt ihr so viel zu tun wie eine Kuh mit dem Eierlegen. Ihr seid doktrinär, vernagelt und schwingt euch zu Sittenwächtern auf, ihr seid die Ajatollahs der Kulturszene und bestätigt leider jedes dümmliche Klischee der Rechten zu political correctness und den „linken Zensurwächtern“ (so der AfD Fraktionsvorsitzende der Hamburger Bürgerschaft Alexander Wolf), indem ihr alles, was euch nicht in den ideologisch-bornierten Kram passt, in der Tat zensieren wollt. Wenn euch Lisa Eckhart nicht passt, dann hört weg und wenn ihr sie kritisieren wollt, dann tut es auf demokratische Weise, nicht indem ihr Auftritte verbietet. Deckt ihre ideologische Verwerflichkeit auf, beweist, dass Lisa Eckhart moralische, politische oder künstlerische Grenzen überschreitet und warum das, was sie sagt, falsch und gefährlich ist, aber maßt euch nicht an darüber zu entscheiden, was Künstler auf die Bühne bringen dürfen. Wir brauchen keine Kulturdiktatur, weder von links, noch von rechts, sondern eine offene Gesellschaft, und dazu gehört, dass man Dinge auch mal aushalten muss, dass man nicht alles in den medialen Kerker sperren darf, was nicht dem eigenen Weltbild entspricht.

Auch für mich hat sich Dieter Nuhr längst als ernst zu nehmender politischer Kabarettist selbst disqualifiziert, seit er zum Apologeten der Autoindustrie und zum Greta-Basher geworden ist, aber lasst ihn gefälligst reden. Wer, wie die Deutsche Forschungsgesellschaft ihn auffordert sich zu einem bestimmten Thema zu äußern, der muss auch akzeptieren, dass er etwas sagt, was einem nicht passt, und in diesem Fall wurde sogar ein Text gelöscht, den im Gegensatz zu vielen Punkten in seinen letzten Programmen wohl die meisten Menschen unterschreiben würden, denn wer würde ernsthaft widersprechen, dass Wissenschaft „keine Heilslehre, keine Religion [ist] die absolute Wahrheiten verkündet“, dass Wissenschaft keine hundertprozentigen Wahrheiten zu bieten hat und Meinungen ändern muss, wenn sich neue Erkenntnisse einstellen? Was gerade die Covid-19-Pandemie eindrucksvoll unter Beweis stellt. Aber darum geht es ja gar nicht. Nuhr ist neuerdings bei der politischen Linken eine persona non grata und wurde in diesem Fall einfach abgestraft für Dinge, die er an anderer Stelle gesagt hat, und so etwas ist nicht weit entfernt von Sprech- und Berufsverboten.

Übrigens sieht sich auch der Comicautor Ralf König Anfeindungen aus der LGBTQ+ Szene (wirklich politisch korrekt mittlerweile: LGBTTTQQIAA!) angefeindet, weil er eine schwarze Lesbe gezeichnet hat und eine dicke Trans-Frau mit Haaren auf den Schultern. Da droht konsequenterweise Kaufverbot!!! Wo kommen wir da hin, wenn ein schwuler Mann Schwule zeichnet wie er will???

Was Nuhr und Eckhart in ihren Programmen bieten, mag ja an manchen Stellen grenzwertig sein in ihrer provokativen Art, aber muss man wirklich noch erklären, dass Provokation zum politischen Kabarett gehört wie die Lust zum Sex? Dass manchmal extreme Formulierungen Dinge auf einen Punkt bringen, der uns endlich zu einer fundierteren Auseinandersetzung zwingt als eine seichte Glosse? Wenn euch das überfordert, dann hört euch Witzchen von Bernd Stelter und Atze Schröder  und Mario Barth an. Ja, mir hat Lisa Eckhart auch mal besser gefallen und ihre Lust an antisemitisch geschmacklosen Bemerkungen wirkt allmählich etwas bemüht, aber wenn Leuten wie Nuhr und Eckhart Auftritte und Veröffentlichungen verboten werden, dann werde ich Fan und kaufe Eintrittskarten.

Mainstream haben wir weiß Gott genug. Gelobt sei, was aneckt! Ein Hoch auf die Widerborstigkeit! Satire muss wehtun!

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