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Gegensätze ziehen sich an

23.9.21 Restaurant der Superlative

Ich war gerade im campingplatzeigenen Restaurant essen. Ein Muss. Ein absolutes Muss. Nicht wegen des Essens. Womit ich nichts gegen die Küche sagen will. War alles in Ordnung. Kein Stern, aber lecker.

Nein, einen Besuch dieses Restaurants sind allein die Inhaber wert. Jedenfalls vermute ich, dass sie es waren, aufgrund ihres Alters (alle anderen waren deutlich jünger) und ihrer Anweisungen.

Er ist der Derwisch der Kellnergilde.

Er fegt mit einem Tempo durch die Tischreihen, dass man einen Kardiologen in der Nähe wünscht. Kaum hat der Gast die ersten Silben des Gerichts artikuliert, vollendet er selbst und sieht den nächsten am Tisch an. Sind alle reihum, dreht er auf dem Absatz und stürmt davon. Er geht nicht, er eilt nicht. Ich bin sicher, es ist keine Sinnestäuschung, sondern ein veritabler Kondensstreifen, der Mühe hat, ihm zu folgen. Im Vorbeigehen stößt er die Saloontüre zur Küche auf und ruft die Bestellung hinein. In einer geschmeidigen Bewegung dreht er ab, ergreift ein Tablett mit Wein und Gläsern und ist schon wieder auf dem Flug zurück in den Gastraum.

Vorweg: Wir sind im italienischsprachigen Teil der Schweiz. Ich möchte zahlen.

„Il con …“ Schon ist er wieder weg.

Auftritt sie. Seine Frau. Sie ist offensichtlich für die Finanzen zuständig. Sie ist sein Yang, seine fleischgewordene Antinomie. Sie lässt sich Zeit. Viel Zeit. Mit schleichendem Rollen kommt sie auf mich zu, im Wiegeschritt. Links, rechts, schwankend wie ein Ozeandampfer bei hoher See. Bevor sie den Schein in dem großen rechteckigen Portemonnaie verschwinden lässt, betrachtet sie ihn wie ein seltenes Kunstwerk. Bis sie wieder hinter der Theke angekommen ist, hat die Inflation zugeschlagen.

Ich stelle mir das Eheleben der beiden vor. Der Wecker klingelt. Als sich zehn Minuten später ihre Augenlider heben, hat er schon Frühsport getrieben, geduscht, gefrühstückt und den Schankraum aufgeräumt. Wenn sie Einkaufen gehen, bleibt sie gleich vorne an der Kasse und hat gerade die Kreditkarte gezückt, als er mit zwei vollen Einkaufswagen angerauscht kommt. Ich stelle mir ihr Sexleben vor. Aber das gehört nicht hierhin.

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2 Antworten auf „Gegensätze ziehen sich an“

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