1) Der Verein ehemaliger Heimkinder in NRW fordert höhere Entschädigungen als bisher üblich. Und in der Tat, die 9.000 €, die Opfer medizinischer Menschenversuche pauschal bekommen, sind einfach nur beschämend und haben mit Entschädigung nicht das Geringste zu tun, wenn man bedenkt, dass in den 50er bis in die 70er Jahre deutsche Pharmakonzerne Heimkinder zu ihren Versuchskaninchen machten, um Psychopharmaka, Neuroleptika, Schlaftabletten und Impfstoffe kostengünstig zu testen.
Und was sagt Gangolf Schrimpf, Sprecher des Pharmakonzerns Merck dazu? Das Unternehmen räumt den Tatbestand ein. Das Vorgehen habe “der damals üblichen Praxis in der Pharmabranche” entsprochen. Na dann. Dann war das ja wohl akzeptabel. Wenn es alle so machen. Und er fügt hinzu: “Nach unserem Kenntnisstand hat Merck nicht gegen geltendes Recht verstoßen.” (Zitate laut Kölner Stadt-Anzeiger, 4.2.20).
Hab ich das richtig gelesen? Kommt der doch tatsächlich mit alten Nazi-Ausreden a la Filbinger, demzufolge heute nicht Unrecht sein kann, was damals Recht war. Offensichtlich hat da jemand immer noch nicht den Unterschied zwischen Gesetz und Recht begriffen, bzw. zwischen Gesetz und Gerechtigkeit oder Menschlichkeit. Unser menschenverachtendes Handeln war nicht verboten, sozusagen erlaubt, also kann man uns auch keine Vorwürfe machen, und freiwillige Entschädigungszahlungen kann man schon mal gar nicht erwarten. Für legale Körperverletzung? Für einen kleinen faux-pas?
2) Und heute? Der Schweizer Pharmakonzern Novartis veranstaltet eine Lotterie mit seiner Gentherapie Zolgensma für Kinder, die unter SMA (Spinale Muskelatrophie) leiden. Und zwar gratis! Nun mag eine Verlosung gerechter sein als eine Behandlung nur für Leute mit dickem Geldbeutel, schließlich kann nicht jeder mal eben 2 Mio. € locker machen. Trotzdem bleibt da ein übler Nachgeschmack. Die Verlosung wird nämlich in Ländern durchgeführt, in denen diese Therapie noch nicht zugelassen wurde. Ich kenne die Gründe für die fehlende Zulassung nicht; vielleicht mahlen die Mühlen europäischer Behörden mal wieder zu langsam, aber könnte es nicht auch sein, dass sie durchaus gewichtige Gründe haben? Und könnte es sein, dass Novartis schlicht und einfach unter dem Deckmantel der humanitären Großzügigkeit eine PR-Aktion gestartet hat, um euröpäische Zulassungsbehörden unter Druck zu setzen und so einen neuen Markt zu erobern? 100 Kinder umsonst, tausende folgen?
Angeblich können nur 100 Dosen pro Jahr im bisher einzigen Werk in Illinois/USA hergestellt werden. Wetten, dass sich das sofort ändert, sobald der europäische Markt erobert ist?
3) In der Diskussion um die Marktmarkt der Handelskonzerne und zu niedrige Erzeuger- und Lebensmittelpreise wurde die Forderung nach Mindestpreisen laut. Auf die Begründungen im Zusammenhang mit gerechten Erzeugererlösen, Tierschutz und Umweltproblemen will ich jetzt hier nicht eingehen. Interessant finde ich die Bemerkung des Rewe-Chefs Lionel Souque, die Tiefstpreise in Deutschland seien notwendig, da sie schließlich 13 Mio. armen Menschen eine gesunde und sichere Ernährung garantierten.
Mal abgesehen davon, dass man “gesund” und “sicher” bei in Massenproduktion erzeugten Produkten durchaus berechtigt in Zweifel ziehen darf, bin ich doch bass erstaunt und muss mein völlig abwegiges Verständnis des Kapitalismus revidieren. Unsere Lebensmittelkonzerne richten ihre Preise nicht nach Angebot und Nachfrage, sondern nach den Bedürfnissen der Bedürftigen. Donnerwetter! Die versuchen gar nicht ihre Profite zu steigern, die wollen einfach nur Gutes tun. Lieber Adam Smith, wir haben völlig daneben gelegen.
Übrigens, wir sollten den Armen unter uns Deutschen jetzt aber auch wirklich mal dankbar sein, denn ihnen allein ist es zu verdanken, dass wir alle uns für nicht mal 3 € an einem ganzen Kilo Hähnchenschenkel mästen können, und ohne sie wären unsere Grills im Sommer ein Bild des Jammers.