Okay, die fast 100%ige Mehrheit der Erde ist froh, dass es vorbei ist. „You’re history“ stellten viele Plakate nach der Wahl kurz und knackig fest. Wenn sich da nicht ein paar Leute zu früh gefreut haben.
Erst der Abschied vom Weißen Haus, dann die Videobotschaft: Donald at his narcissistic best. Das kann er wirklich gut. Irgendwas kann eben jeder. Mit Geschichte hingegen hat er es nicht so sehr. Nach seiner glorreichsten Präsidentschaft gelte es in den USA Zensur, schwarze Listen, politische Prozesse etc. zu verhindern, etwas, das es in der amerikanischen Geschichte noch nie gegeben habe. Na, da haben wir wohl im Unterricht von Immobilien geträumt, was? Schon mal was von der McCarthy Ära gehört? Aber was historische Ignoranz angeht ist er nicht allein. Ich habe amerikanische Geschichtsbücher gesehen, in denen nicht mal der Begriff auftaucht und viele Amerikaner getroffen, denen ich erst erklären musste, wer McCarthy war. Oder Sacco und Vanzetti. Schwarze Listen, Zensur, politische Prozesse? In Amerika? Niemals! Gibt es nicht. Hat es nie gegeben. In dieser Hinsicht dürfen wir Trump also keinen Vorwurf machen. Da ist er nur einer von mindestens 74 Millionen.
Auch in einem anderen Punkt nicht. Das Einzige, das Trump bewusst wahrnimmt, ist nun mal sein Spiegelbild, und das erzählt ihm, dass er, er persönlich, und natürlich ganz alleine, er, Trump, Donald Trump, er, der größte aller Betonköpfe, neben dem selbst die in Mount Rushmore liliputanischen Zwergen gleichen – ER hat Amerika wieder Respekt verschafft in der Welt. Dass das Gegenteil der Fall ist – nun, selbst dem eingebildetsten Menschen, wie er uns bisher bekannt sein könnte, würden all die weltweiten Kommentare und Umfragen zu denken geben. Trump aber ist eine absolut einmalige humane Mutation, was intellektuelle Kapazität, Selbstgefälligkeit und Wahrnehmungsfähigkeit angeht. Sämtlich analytischen Funktionen schalten sich automatisch ab, sobald eine auch nur assoziative Verbindung zu den Wörtern „ich“, „Donald“ und „Trump“ entsteht. Außerdem besitzt er irgendwo im Frontallappen einen Filter, der alles eliminiert, was nicht mit seinem Spiegelbild übereinstimmt.
Wie der Vorwurf, das Land gespalten zu haben. Wo es ihn und seine fantastische Regierung doch nie interessiert habe, ob jemand Republikaner oder Demokrat ist. Nein, nicht doch. Die Spaltung Amerikas hat doch damit nichts zu tun. Als ob Trump jemals etwas Negatives über Demokraten gesagt hätte. Dass sie einfach nur linkes Pack sind und chaosstiftende, linkssozialistischkommunistischmarxistische Terroristen, das ist doch eine schlichte Tatsache.
Wie die, dass Barack Obama gar kein Amerikaner ist, der Ku Klux Klan aus lauter ehrbaren Leuten besteht, und Amerika niemals so sicher und wohlhabend war wie unter Donald Super-Trump. Schließlich hat er, er persönlich, ja wer denn sonst, die ganzen vier Jahre tagein, tagaus, unermüdlich genau daran gearbeitet. Er, der “immer den schwierigsten Weg” gegangen ist, dessen “ständiges Anliegen” nicht “die Konzerne und Interessengruppen” waren – nein, wer käme angesichts seiner Steuerreform denn darauf – sondern einzig und allein den “edlen Bürgern” dieses Landes zu dienen. Dass 30 % der Amerikaner an oder unter der Armutsgrenze leben – also, das wissen wir ja warum. Muss man eben so schlau sein wie Trump. Und apropos Sicherheit: Dass ein paar Abgeordnete vor einem gewaltbereiten Mob flüchten mussten, hat damit gar nichts zu tun, denn das war ja das Establishment. Und Leute, die sich geweigert haben, für ihn den Wahlsieg zu klauen.
Aber halt, da fällt ihm doch noch was ein mit Gewalt und dem Kapitol. „Politische Gewalt ist ein Angriff auf alles, was Amerika in Ehren hält.“ Ach. Donnerwetter. Wie gut, dass uns da mal einer drauf hinweist. USA und Gewalt. Wie kann man nur darauf kommen, die beiden Begriffe zusammen zu denken.
Der neuen Regierung – Biden erwähnt er mit keinem Wort, wer ist das schon – wünscht Trump Erfolg darin, die noch nie, nie, nie nicht da gewesenen Errungenschaften seiner erfolgreichsten aller großartigsten Regierungen der großartigsten Nation der Welt zu erhalten. Dann betont er, dass die neue Administration dazu viel Glück benötige und fügt emphatisch hinzu: „Glück. Ein sehr wichtiges Wort“. Von der Herablassung mal abgesehen, wollte er vielleicht an eine andere seiner unsäglichen Bemerkungen erinnern, als er sagte, drei Wochen nach Amtsantritt würde Biden erschossen und dann käme die linkeste Kommunistin Amerikas an die Macht, um das Land zu zerstören. Manche Apologeten erklären, er habe das Wort „shot“ in einer äußerst seltenen Bedeutung verwendet, nämlich im Sinne von mental krank. Trumps Anhängern jedoch wird die Doppeldeutigkeit nicht entgangen sein. Und was Trumps Charakter angeht, weiß man: das war auch genau so gemeint. Wie in Washington. Biden wird ebenso viel Schutz brauchen wie Barack Obama.
Das Traurigste ist allerdings: Es wäre schön gewesen, wenn es sich wirklich um Abschiedsreden gehandelt hätte. Leider waren es Drohungen. Er hat ja unmissverständlich betont, dass seine Bewegung gerade erst am Anfang stünde und täglich mächtiger würde. Und dass er wiederkommen werde! Mein Gott, welch apokalyptische Vision. Da ist ja die aus der Bibel ein Kindergeburtstag gegen. Nein, Trump ist nicht Geschichte. Armes Amerika.
Da bleibt nur noch die Hoffnung auf drei Dutzend Prozesse, die auf ihn zukommen1. In Anlehnung an seinen eigenen Schlachtruf gegen Hillary Clinton kann man da nur sagen: “Lock him up!”
1 https://www.myview-wolfgangmebs.de/trumps-erfreulich-duestere-aussichten/