Arme Schüler*, arme Lehrer, arme Direktoren. Sie alle müssen unter einer Schulministerin leiden, die leider keinerlei Ahnung hat von dem, was sie da tut. Entweder sie ist beratungsresistent, oder dasselbe gilt auch für ihre Berater. Die Versäumnisse und realitätsfernen Entscheidungen der nordrhein-westfälischen Schulministerin Gebauer (FDP) sind geradezu hanebüchen.
Auf den ersten Blick mag die generelle Maskenpflicht, auch im Unterricht, ja vielleicht Sinn machen. Aber jeder, der auch nur ein bisschen Ahnung vom Schulleben und Unterrichten hat, oder über genügend Vorstellungsvermögen verfügt, weiß, dass diese Regelungen absolut praxisuntauglich sind.
Zunächst einmal haben Lehrer zu Beginn eines Schuljahres neue Klassen und Kurse, und sie müssen aus Respekt vor ihren Schülern deren Namen so schnell wie möglich lernen, denn die wollen als Person anerkannt und angesprochen werden. Dieses schnelle Kennenlernen wird zu einem fast unmöglichen optischen Kunststück, vor allem bei 25 – 30 Schülern, von denen der größte Teil auch noch ein paar Meter entfernt sitzt.
Zweitens ist die miserable Akustik in Klassenräumen ein ebenso lange bekanntes wie ignoriertes Problem, was durch die Maskenpflicht potenziert wird. Die meisten Schüleräußerungen, vor allem derer im hinteren Teil des Raumes, dürften durch die Maske gedämpft fast unverständlich sein. Dasselbe gilt für Lehreräußerungen. Jeder, der momentan einkaufen geht, kann beobachten, wie oft Verkäuferinnen hinter der Theke nachfragen müssen, weil sie die Bestellung nicht vollständig dechiffrieren konnten. Und da beträgt der Abstand gerade mal ein bis zwei Meter, in Klassenräumen können das fünf, sechs und mehr sein! Unterricht besteht heutzutage aus Kommunikation, nicht aus frontalem Dozieren. Die Folge wird sein, dass alle Beteiligten nach ständigem Wiederholen des Gesagten schlicht und einfach die Maske abnehmen, sobald sie reden . Und das wäre kein mutwilliger Verstoß gegen eine landesbehördliche Verordnung, sondern unabdingbar, insbesondere, wenn man schüchterne, zurückhaltende Kinder überhaupt noch zum Reden bringen will! Da ist Frau Gebauers Hinweis auf Ausnahmen, etwa wenn das englische „th“ eingeübt werden soll, schlicht lächerlicher Kleinkram.
Überdies ignoriert die Anordnung einen zentralen, einen für das Unterrichtsgeschehen essentiellen Punkt: Unterricht ist ein komplexer Prozess zwischen Menschen, zwischen Menschen, die sich sehen müssen! Ein Lehrer muss erkennen können, ob ein Schüler fröhlich ist oder bedrückt, unsicher, gelangweilt, aufmerksam, beleidigt, ob er alles oder nur Bahnhof versteht. Was wiederum gerade in neuen Klassen und Kursen besonders wichtig ist. Und auch hier gilt: versuchen sie mal all das aus sechs Meter entfernen Augen herauszulesen.
Dasselbe gilt natürlich auch umgekehrt. Für Kinder, gerade in der Grundschule oder der Erprobungsstufe, ist die Situation ungleich schwieriger, ist die Verunsicherung durch ein maskiertes Gegenüber ungleich größer!
Nicht minder realitätsverweigernd ist die Anordnung, dass Schüler nur in festen Lerngruppen betreut werden sollen, und dies auch in den Pausen gelten soll. Haben Frau Gebauer und ihre Zuarbeiter noch irgendwelche Erinnerungen an ihre Schulzeit? Wann haben sie zum letzten Mal einen Schulhof gesehen? Kinder wollen ihre Freunde sehen, wollen sich austauschen, egal welcher Lerngruppe sie gerade verwaltungstechnisch zugeordnet wurden. Aber vor allem wollen und müssen sie sich in den Pausen austoben. Und das soll jetzt auf einem exakt abgegrenzten Areal geschehen? Bei vollem Schulbetrieb halten sich da hunderte Kinder und Jugendliche in einem ziemlich begrenzten Raum auf. Da ist Abstand halten nicht mehr möglich! Es sei denn, ich zwinge die Hälfte sich in den Pausen weiterhin im Klassenraum aufzuhalten. Das wäre eine absolute Zumutung und eine pädagogische Vergewaltigung gerade der Jüngeren, die den motorischen Ausgleich für Stillsitzen und Konzentration dringend brauchen. Sie und die Lehrer, die anschließend diese Klassen unterrichten, sind zutiefst zu bedauern.
Und was die Oberstufe betrifft, da kann das Ganze schon mal gar nicht umgesetzt werden. Frau Gebauer hat offenbar noch nichts vom Kurssystem gehört, oder ihr ist gleichgültig, wie die Schulen das Konzept umsetzen sollen. Jeder Oberstufenschüler wechselt permanent zwischen unterschiedlichen Lerngruppen, je nach Stundenplan, drei-, viermal am Tag. Hier feste Lerngruppen zu bilden, gleicht der Quadratur des Kreises. In solchen Gruppen gäbe es ein buntes Gemisch verschiedener Fächer und Kursarten. Das ist gerade das Grundprinzip der Oberstufe, nämlich dass jeder seine eigene, persönliche Fächerkombination mit Leistungs- und Grundkursen wählt, wodurch allenfalls Überschneidungen entstehen, aber höchstens in Ausnahmefällen eine halbwegs fachhomogene Lerngruppe. Und von welchen Fachlehrern sollen die dann unterrichtet werden? Und wo sollen die alle herkommen?
Als hätte es keine anderen Optionen gegeben!
Erstens wäre sechs Wochen Zeit gewesen, die Schulgemeinden anzuweisen zusätzliche Unterrichtsräume zu finden, um die räumliche Enge zu entzerren (was manche Kommunen schon von sich aus getan haben). Zweitens hätte man sich nicht nur verbal um zusätzliches Lehrpersonal kümmern müssen, das man mit befristeten Verträgen für pensionierte Lehrer, Seiteneinsteiger und mit Sonderregelungen für Referendare hätte finden können.
Vor allem aber hätte es beim Prinzip der geteilten Lerngruppen bleiben sollen, bei einem Wechsel zwischen Präsenzunterricht und Homeschooling. Vor allem für die Oberstufe, für Schüler also, die im Allgemeinen in der Lage sind selbstorganisiert und in kursspezifisch festen Gruppen zu arbeiten, hätte der Präsenzunterricht zugunsten unterer Jahrgänge reduziert werden können.
Und um das ständige Sonntagsreden über Digitalpakte zu beenden, statt Lehrern dauernd vorzuwerfen von digitalem Unterricht keine Ahnung zu haben, hätte das Schulministerium in sechs Wochen Ferien Zeit genug gehabt, mit unbürokratischer Unterstützung die technische Grundausstattung von Schulen und Schülern zu verbessern. Aber an den meisten Schulen überall im Land wartet man immer noch vergebens z.B. auf die angekündigten Laptops und Tabletts.
Unter solchen Voraussetzungen hätte man kleinere Lerngruppen einrichten können, in denen Hygieneregeln viel einfacher einzuhalten wären, man wäre den Bedürfnissen vor allem der jüngeren Schüler entgegengekommen, die pädagogische Betreuung wäre gewährleistet gewesen, und auch das schulische Drumherum vom Schulbus über den Schulhof bis zur Desinfektion von Klassenräumen und Toiletten wäre Corona angemessen zu bewältigen gewesen.
Aber all das wurde versäumt. Von einem Ministerium, dass viel redet und viel fordert, aber viel zu wenig auf den Weg gebracht hat. Von einer Ministerin, die von Schulen alle paar Tage neue Konzepte verlangt, ihnen jetzt zumutet die vorhandenen, in den Wochen vor den Ferien erarbeiteten in die Tonne zu kloppen und innerhalb einer Woche zu versuchen das Unmögliche möglich zu machen. Es wird Zeit für mehr Sachverstand in diesem Ministerium.
Ge(h)-bauer. Geh!
* Ich verwende im Folgenden der Einfachheit und der Lesbarkeit halber die männliche Form, erkläre hier aber, dass ich mir durchaus bewusst bin, dass es auch weibliches, queeres, homo-, bi-, trans-, inter- und asexuelles Lehrpersonal und zahllose Zwischenformen gibt.
3 Antworten auf „Ge(h)-bauer!“
[…] 3 https://www.myview-wolfgangmebs.de/geh-bauer/ […]
[…] ich nicht viel von unserer Schulministerin Gebauer halte, habe ich ja schon mal deutlich gemacht (https://www.myview-wolfgangmebs.de/geh-bauer/). Daran hat sich auch nichts geändert. Sie hat die negative Beurteilung eindrucksvoll bestätigt. […]
[…] Schule und Minister (https://www.myview-wolfgangmebs.de/geh-bauer/). Joachim Stamp (auch FDP), in der Landesregierung zuständig für Kinder, Familie, Flüchtlinge […]