Jetzt hat er es also tatsächlich getan. Nicht, dass es überraschend gekommen ist. Man musste Putin ja nur zuhören. Er hat alles angekündigt. Seit Jahren wissen wir von seinen Großmachtträumen. Seit Jahren konnten wir beobachten, dass er nirgendwo in seiner direkten Umgebung unabhängige Staaten, geschweige denn Demokratien akzeptiert; in seinem eigenen Land schon mal gar nicht.
Und ständig wurde Putins Haltung propagandistisch orchestriert und auch von Teilen des Westens übernommen. Dass er der Ukraine das Existenzrecht absprach, rechtfertigte man mit der Politik der NATO nach 1990. Selbst sein Geschwätz von Nazis, die die Ukraine beherrschten, wurde nachgeplappert. Die Annexion der Krim wurde umdefiniert, ebenso wie die von Russland angefeuerten Separatisten zu Freiheitskämpfern stilisiert wurden. Dass es Putin um weit mehr ging als um zwei Teilrepubliken, wurde geflissentlich ignoriert.
Und selbst Menschen, die nicht auf diese offensichtlichen Blendgranaten hineinfielen, glaubten nicht, dass Putin einen Krieg in Europa entfesseln würde, dass er rational genug sei, die Folgen zu erkennen und mit größerer Beachtung und Anerkennung seiner Forderungen an die NATO zufrieden sein würde. Das waren nichts weiter als Hoffnungen, die man pflegen konnte, trotz Putins Ankündigungen, trotz seiner kriegerischen Diktion.
Einer erschreckend völkisch-nationalistischen Diktion, wenn man allein an die Ukraine als „heiliger russischer Erde“ denkt, an seine historischen ‚Argumente‘, dass es gar keine Ukrainer gebe, da all diese Menschen vom Urvolk der Rus abstammen würden. Und jetzt rechtfertigt er die Invasion mit einer Rede, deren Rhetorik auch über das völkische Element hinaus frappante Ähnlichkeit mit der Rechtfertigung der Besetzung der Tschechoslowakei hat, mit Lügengeschichten einer angeblich bedrohten Volksgruppe, dem Genozid an Russen in der Ukraine und einer herbeigeredeten Bedrohungslage Russlands durch die Ukraine.
Ja, man sollte Putin genau zuhören. Auch jetzt*.
„Russland kann sich nicht sicher fühlen, sich nicht entwickeln und nicht existieren, wenn es ständig von der Ukraine bedroht wird. […] Wir haben nicht vor, die ganze Ukraine zu besetzen, aber sie zu demilitarisieren.“ Wie soll das denn geschehen, ohne die gesamte Ukraine unter russische Kontrolle zu bringen?
„Die russische Politik basiert auf Freiheit, und dieses Recht sollte jeder genießen können, auch die Einwohner der Ukraine. Jeder sollte die Freiheit haben, über seine eigene Zukunft und die seiner Kinder zu entscheiden.“ Solange die Untertanen endlich begreifen, dass sie kein Selbstbestimmungsrecht mehr haben, solange sie sich freudestrahlend zu Russen erklären. Dann dürfen sie endlich die ja hinlänglich bekannten demokratischen Rechte russischer Spielart genießen. Denn „die wahre Stärke liegt in der Gerechtigkeit und Wahrheit, die auf der Seite Russlands stehen.“
Und vor allen Dingen diese Worte müssen wir jetzt leider völlig ernst nehmen:
„Jetzt ein paar wichtige, sehr wichtige Worte für diejenigen, bei denen die Versuchung aufkommen könnte, sich in das Geschehen einzumischen. Wer auch immer versucht, uns zu behindern, geschweige denn eine Bedrohung für unser Land und unser Volk zu schaffen, muss wissen, dass die Antwort Russlands sofort erfolgen und zu Konsequenzen führen wird, die Sie in Ihrer Geschichte noch nie erlebt haben. Wir sind zu allem bereit.“
Das ist die Sprache von Megalomanen, von skrupellosen Kriegstreibern, von Menschen, die um ihr persönliches Machtstreben zu befriedigen, zu allem bereit sind, auch zu einem Weltbrand. Oder will jemand leugnen, dass Putin hier mit dem Einsatz von Atombomben droht? Bleibt nur noch die Frage, was er unter „einmischen“ versteht.
Die einzige Hoffnung, die jetzt noch bleibt, ist die, dass wenigstens NATO, EU und USA auf dem Boden rationaler Politik bleiben und es bei wirtschaftlichen und politischen Sanktionen belassen. Für die Menschen in der Ukraine, die eben in der großen Mehrheit keine Nazis sind, sondern sich einfach nach Demokratie und Freiheit sehnen, heißt das allerdings, dass sie zum Spielball und hilflosen Opfer russischer Expansionsgelüste werden, denn wer ernsthaft meint, dem Land militärisch beizustehen zu müssen, riskiert den Weltfrieden.
*Zitate aus Putins Fernsehansprache zur Invasion der Ukraine