Es ist – hoffentlich nur im übertragenen Sinne – in aller Munde: das Corona-Virus. Neben all den Fragen, die aktuell diskutiert werden – wie gefährlich ist es, soll ich noch ein Konzert besuchen oder meine Oma, darf man noch Straßenbahn fahren, soll ich Klopapier einlagern, weil all die Panikkäufer dafür sorgen, dass es tatsächlich nicht vorrätig ist – wirft die Pandemie auch ein Schlaglicht auf die Fragilität unser heutigen globalisierten Gesellschaft.
Zwei Grundprinzipien garantieren das langfristige Überleben von Flora und Fauna, inklusive des Menschen. Die Kraft und Unverwüstlichkeit der Natur liegt zum einen in der Vielfalt, in der immer wieder verblüffenden Kreativität der Evolution, und zum anderen in kleinen, dezentralen Einheiten. Beides verhindert sowohl die Dominanz weniger Spezies, als auch das Risiko, dass ein Schädling oder eine Krankheit das gesamte Ökosystem gefährdet.
Das Coronavirus zeigt gerade, eigentlich wenig überraschend, wie wichtig beide Prinzipien auch für das gesamte gesellschaftsstrukturelle System sind. In der industriellen Landwirtschaft, in der unter völliger Missachtung dieses Wissens auf Monokulturen, riesige Anbauflächen und massenweisen Pestizideinsatz gesetzt wird, mit all den sattsam bekannten Folgen, hoffen wir so schlicht wie unverantwortlich einfach darauf, von den Folgen verschont zu werden. (https://www.myview-wolfgangmebs.de/superweeds-die-ignorierte-gefahr/)
In vergleichbarer Weise hat die von ökonomischen Interessen forcierte Globalisierung zwar den Unternehmen vor allem des Westens bzw. des Nordens exorbitante Umsatzsteigerungen und Gewinne verschafft, gerade dadurch, dass für sie die Welt vielgestaltiger geworden ist, vor allem was Produktionsstätten, Arbeitskräfte, Steuern und Bürokratie angeht. Paradoxerweise geht dies aber zu Lasten der Flexibilität und der Anpassungsfähigkeit. In Wirklichkeit ist die Abhängigkeit vom stets reibungslosen Funktionieren des ökonomischen Systems gewachsen.
Was Glyphosat für Landwirte, sind offene Grenzen für die globale Wirtschaft. Waren und Menschen müssen sich so barrierefrei wie eben möglich bewegen können. Um Kosten zu sparen, wurden Vorratslager abgeschafft und das Just-in-time Verfahren eingeführt. Was relativ gut funktioniert, solange es keinen Verkehrskollaps gibt. Um noch mehr Kosten zu sparen wurde das Prinzip auf die ganze Erde und die gesamte Wertschöpfungskette ausgedehnt. Und wie in der Landwirtschaft stehen kurzfristig gestiegenen Renditen für global gesehen Wenige massive Gefahren für alle gegenüber.
Und nun drohen die Kleinsten die angeblich Intelligentesten schachmatt zu setzen. Ein einziger Schädling beweist, wie instabil unser globalisiertes ökonomisches System ist. Um der Pandemie Herr zu werden, wird nicht nur die Bewegungsfreiheit von Menschen eingeschränkt, was sich auf der Managementebene dank Videokonferenzen verkraften lässt. Viel dramatischer wird es, sobald die globalen Lieferketten unterbrochen werden. Die schiere Größe dieser Systeme wird ihnen nun zum Verhängnis. Durch die Differenziertheit der Lieferketten sind von Transporteinschränkungen dutzende bis hunderte Betriebe betroffen. Fällt ein Glied aus, stört das den gesamten Ablauf. Große Konzerne mögen das eine Zeit lang überstehen; viele Mittelständler wohl kaum. Besonders dramatisch könnte so etwas werden bei raren Vorprodukten. Man stelle sich eine Epidemie vor im Kongo, der 60% der weltweiten Bedarfs an Kobalt deckt. Und am härtesten könnte es Konsumenten treffen, wenn bestimmte Produkte nicht mehr in ausreichendem Maße hergestellt werden können, insbesondere Medikamente (hier haben wir uns schon lange von einer sicheren Versorgung von Kranken zugunsten hoher Renditen für Pharmakonzerne verabschiedet).
Durch die weltweite Vernetzung sind von derartigen Störungen nicht mehr einzelne Länder oder einzelne Branchen betroffen. Heutzutage trifft es alle. Wie in vielen Bereichen nimmt auch hier die Fehlerfreundlichkeit unserer Lebenssysteme immer weiter ab – und niemand ist darauf vorbereitet.
Corona wird kein Einzelfall bleiben. Ob Sars, Ebola oder Schweinepest, Krankheitserreger sind nicht mehr lokal gebunden, sondern reisen um die Welt mit Waren und Touristen – was übrigens auch die Mutationsrate erhöhen dürfte. Deshalb müssen wichtige Lehren gezogen werden.
Politisch müssen Kommunikationssysteme aufgebaut werden, die konzertiertes Handeln ermöglichen und ein Wirrwarr aus Herunterspielen, Abwarten und Panik verhindern. Solange es allerdings Menschen gibt, die glauben das alles selbst regeln zu können, weil sie die besten Ärzte, Wissenschaftler und Medikamente der Welt haben und Corona als “ausländisches Virus” bezeichnen, besteht darauf wenig Hoffnung.
Vor allem muss endlich, international koordiniert, Geld fliessen in die Entwicklung von Impfstoffen und Medikamenten gegen Krankheiten, die bisher vorwiegend in Ländern der Dritten Welt auftreten, und den Pharmakonzernen bisher nicht lukrativ genug erscheinen. Vielleicht ändert sich hier ja doch etwas, seit wir uns nicht mehr nur in einem exotischen Urlaub anstecken können, seit die Viren auch zu uns kommen, seit nicht nur die Armen weit weg sterben.
Aus demselben Grund bemerkt vielleicht der eine oder andere Politiker, dass unser Gesundheitssystem einer grundlegenden Reform bedarf, denn es ist weder personell nach infrastrukturell auf solche Notsituationen eingestellt. Spätestens jetzt muss allen klar werden, dass, wenn es um Wohl und Leben der Bevölkerung geht, die reine ökonomische Effizienz nicht der ausschlaggebende Faktor sein darf. Dass bereits jetzt, wo wir in Deutschland noch weit entfernt sind von einer wirklich dramatischen Epidemie, bereits am Rande unserer Kapazitäten angelangt sind, ist ein Armutszeugnis für eines der reichsten Länder der Welt.
Ökonomisch gesehen müssen auch Unternehmen umdenken und sich – ja, das wird Geld kosten und vielleicht Dividenden reduzieren – auf eine zeitweise Unterbrechung der Lieferketten einstellen, z.B. durch eine Überprüfung der Just-in-time Produktion und der Rückkehr zu Lagerhaltung zumindest in besonders sensiblen Bereichen, oder durch eine Diversifizierung der Zulieferer, die nicht immer nur aus den billigsten, aber instabilen und gesundsheitspolitisch riskanten Ländern kommen müssen. Aber damit ist eher nicht zu rechnen, solange Manager vorwiegend für kurzfristige Erfolge belohnt werden. Zudem bleibt ein Sektor weitestgehend unberührt. Kapital lässt sich jederzeit handeln, selbst wenn es überall zugeht wie in Italien. Die gerade einbrechenden Kurse sind für Finanzjonglöre übrigens überhaupt kein Problem. Auf den Parketten der Welt bricht Hektik aus, das ist aber auch alles und zweitens völlig normal, ja sogar erwünscht. Das große Geld wird nämlich nur gemacht, wenn sich die Kurse bewegen, ob rauf oder runter. Zwar verlieren manche Leute dadurch einen Haufen Geld, aber das ist ja deshalb nicht weg, wie Volker Pispers anmerkt. Es ist dann bloß woanders.
Zudem zählt auf dem Finanzmarkt schon lange nicht mehr die langfristige Perspektive (allem Gesäusel von Anlageberatern über die Vorteile von Aktien und dem berühmten langen Atem zum Trotz), hier geht es um den schnellen Dollar, um hohe Rendite in möglichst kurzer Zeit. Ob ein Unternehmen nächstes Jahr noch besteht, interessiert die Akteure an den Börsen und in Banken und Fondsgesellschaften herzlich wenig.
Und so ist zu befürchten, dass die Mehrheit einfach nur hofft, dass es schon nicht so schlimm werden wird, oder jedenfalls nicht da wo sie selbst leben, und dass Toilettenpapier- und Dosensuppenvorräte für vier Wochen ausreichen, um das Schlimmste zu überstehen. Bis zum nächsten Virus.