Was sich da gerade in Sachsen-Anhalt abspielt, ist ziemlich enthüllend für den Zustand der CDU, zumindest für einen nicht unerheblichen Teil. Es hat ja schon mehrere Mitglieder der Ost-CDU gegeben, die für eine Annäherung an die AfD plädieren und „das Soziale mit dem Nationalen verbinden“ wollen, wie der CDU Fraktionsvize in Sachsen-Anhalt, Ulrich Thomas, der eine Koalition mit der AfD nicht ausschließen möchte und bemängelt, dass sich die CDU „multikulturellen Strömungen linker Parteien“ nicht ausreichend entgegenstellen würde.
Jetzt kommt man ein paar Schritte weiter. Der Boden wird allmählich bereitet.
Worum geht es? Um die Rundfunkgebühren. Um sagenhafte 86 Cent pro Monat. Um die erste Gebührenerhöhung seit 2009! Nein, dafür würde kein ernst zu nehmender Politiker einen solchen Aufstand machen und eine Koalition platzen lassen. Es geht um mehr. Um Grundlegendes. Es geht um den Kampf gegen das vor allem von rechts außen vielbeschworene links-grün versiffte Milieu, das sich nach Wahrnehmung der AfD und der sich ihr anbiedernden Teile der CDU auch in ARD und ZDF breitgemacht hat.
Um diesen Kampf zu gewinnen, wäre die CDU bereit, zusammen mit der AfD gegen die Erhöhung zu stimmen und damit die Koalition mit der SPD und den Grünen zu beenden. Auch ‘argumentativ’ nähert man sich an.
Der aufgrund eines nicht mit seinem Regierungschef abgesprochenen Interviews jetzt geschasste CDU-Innenminister Holger Stahlknecht drückt es so aus: „Ich beobachte mit Sorge, dass wir zunehmend eine von einer intellektuellen Minderheit verordnete Moralisierung erleben. […] Die Öffentlich-Rechtlichen berichten gelegentlich nicht auf Augenhöhe, sondern mit dem erhobenen Zeigefinger der Moralisierung“.
Mal abgesehen davon, dass dies typischer AfD Jargon ist – ist es nicht bemerkenswert, dass ausgerechnet Mitglieder der Partei, die einmal angetreten war zur „geistig-moralischen Wende“, Moralisierung beklagen? Zumal Herrn Stahlknecht schon ein „gelegentlich“ erhobener Zeigefinger zu weit geht! Wenn es der linke ist. Oder hat er ein generelles Problem mit Moral? Weil sie auch von ihm eingefordert wird?
Aber halt – es geht um „Moralisierung“, also um kleinliche Belehrung und Selbstüberhöhung, um das Aufzwingen von Verhaltensvorschriften und um die übertriebene Anwendung von ethischen Grundsätzen, z.B. auf Bereiche, in denen sie bisher nicht angewendet wurden. Wie in der Politik? Wo kommen wir denn da hin? Zusammenhänge zwischen Konsumverhalten und Ausbeutung aufzeigen, von der Außenpolitik konsequenten Einsatz für Menschenrechte fordern, Umweltschutz nicht allein unter ökonomischen Aspekten betrachten – alles Moralisierung. Haben wir doch früher auch nicht gemacht.
Von christlichen Parteien klare Abgrenzung fordern gegen antidemokratische und anti-humanistische Parteien, von Politikern Wahrhaftigkeit und Verantwortlichkeit erwarten, gar einfordern – alles Moralisierung. Verkehrsminister Scheuers Rücktritt fordern, weil er ein Desaster nach dem anderen anrichtet und massiv die Arbeit des Untersuchungsausschusses behindert? Übertriebene Moralisierung. Innenminister Seehofer eins mit der Moralkeule verpassen, weil er sich über Abschiebungen in Höhe seines Alters an seinem Geburtstag freut? Völlig überzogene Moralisierung. Von Frau Klöckner und ihrem Landwirtschaftsministerium endlich konsequente Umweltpolitik zum Schutz von Tieren und zukünftigen Generationen einfordern? Völlig unangemessene Moralisierung.
Ziemlich deplaziert ist auch der Hinweis verschiedener CDU-Politiker, man könne nichts dafür, dass die AfD jetzt auch CDU-Positionen vertrete. Die öffentlich-rechtlichen Medien waren der AfD aber schon immer ein Dorn im Auge. Ihre finanzielle Austrocknung fordern sie schon lange. Zu reformieren gibt es da einiges, inklusive der Intendantengehälter (aber Vorsicht, liebe CDU; könnte es sich hier nicht eurerseits um übertriebene, neidbefeuerte Moralisierung handeln? Ihr seid doch sonst auch gegen die Deckelung von Managergehältern!). Nur, durch die Verweigerung einer minimalen Gebührenerhöhung, die weder die gestiegenen Kosten, noch die Inflation ausgleicht, wird man Reformen in Struktur, Programm und Entlohnung nicht erreichen.
Übrigens bemängelt Stahlknecht auch, dass man über keinen verunglückten politischen Witz mehr lachen dürfe. Auch das typischer AfD Jargon. Doch, Herr Stahlknecht, Sie dürfen. Es ist nach wie vor nicht verboten, über Lisa Eckharts gelegentlich kritisiertes Spiel mit antijüdischen Klischees zu lachen oder über gelegentliche fremdenfeindliche Schmankerl von AfD-Abgeordneten oder über Christian Lindners gelegentlich kritisierte, abgestandene Herrenwitze. Sogar herzhaft. Wenn das Ihren Geschmack trifft.
Ich beobachte auch etwas mit zunehmender Sorge, nämlich eine Aufweichung moralischer Standards in dieser Partei, eine Ent-Moralisierung sozusagen, eine machtpolitische Verlotterung der Sitten durch die ideologisch verblendete Anbiederung an eine andere Minderheit, eine rechte, völkische. Hauptsache, man kann dem, was man als links identifiziert hat, eines auswischen. Es geht der CDU in Sachsen-Anhalt nicht um den Rundfunkbeitrag. Es geht um die ungeliebte Zusammenarbeit mit den Grünen. Wenn man die beenden kann, indem man sich mit Rechtsextremen verbündet – sei’s drum. Und scheiß auf die Moral.