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Allgemein Der tägliche Wahnsinn

Corona – und dann ?/ 3

Nein, nichts bleibt wie es war. Panta rhei. So weit so banal, auch nach Corona. Diesmal aber werden und müssen die Veränderungen grundlegender Natur sein.

Wünschenswert wäre natürlich, wenn im politischen Raum sich die Erkenntnis auch in der Praxis durchsetzen würde, dass politische Freiheit soziale Gerechtigkeit voraussetzt, dass man kein System akzeptieren darf, dass in einer Krisensituation vor allem die Schwächsten noch weiter benachteiligt oder gleich dahinrafft. Wir leben zum Glück nicht in den USA, wo diese Tatsache gerade exemplarisch der Welt vor Augen geführt wird, aber bei Einmalalmosen für diejenigen, die bei uns gerade ihre eigene Gesundheit aufs Spiel setzen, um uns zu pflegen und zu retten, darf es nicht bleiben (https://www.myview-wolfgangmebs.de/corona-und-dann/). Alle sozialen Sicherungssysteme müssen neu ausgerichtet werden.

Neben einer angemessenen Bezahlung und besseren Arbeitsbedingungen für sämtliche Sozialberufe, muss endlich ernsthaft über das Bürgergeld (oder Grundeinkommen, oder Negativsteuer, oder wie immer wir es machen und nennen wollen) nachgedacht, und entsprechende Gesetze müssen möglichst bald auf den Weg gebracht werden, denn spätestens jetzt muss doch dem Letzten klar werden, dass wir im Moment viel weniger massive Existenzängste bei Selbstständigen, Künstlern und Kleinunternehmern hätten, wenn es das Grundeinkommen gäbe. Außerdem würden wir nicht zigmillionen Euro in der jetzt endgültig überlasteten Sozialbürokratie verschwenden.

Auch Bundeswirtschaftsminister Altmeiers Idee für eine neue Außenwirtschaftsverordnung, die von vielen vor kurzen noch verlacht und als ökonomischer Unsinn abgetan wurde, erscheint plötzlich in einem anderen Licht. Was soll so falsch daran sein, bestimmte ökonomische Aktivitäten im Land zu halten? Wäre es wirklich so dramatisch für Ärzte und Krankenhäuser gewesen, wenn in den letzten 10 Jahren Atemschutzmasken und Schutzkleidung bei uns produziert worden wären, statt ein paar Cent billiger in China? Oder an verschiedenen Produktionsstätten in einem wirklich einigen Europa, in dem alle Bürger mit dem Notwendigsten versorgt werden?

Der gesamte Prozess der Globalisierung muss neu überdacht und seinen Kritikern mehr Gehör verschafft werden. Aber nicht unter nationalistischen Prämissen, nach dem Motto Deutschland/Polen/Ungarn/Frankreich/USA etc. zuerst, sondern indem das Schlagwort von der Subsidiarität zum internationalen, aber zumindest erst einmal europäischen Leitprinzip würde. Lasst jedem seine Eigenheiten, aber wo es um Existenzielles geht, setzt für alle gültige Maßstäbe. Macht euch nicht um ein paar Cent Willen, die die Renditeerwartung des viel zu flüssigen Minderheitenkapitals erfüllt, zu Leibeigenen eines auf unrealistische absolute Perfektion ausgerichteten neoliberalen Marktsystems (https://www.myview-wolfgangmebs.de/anfaellig/). Tauscht Waren und Dienstleistungen, auch global, aber schafft Systeme, die das lokale Überleben sichern. Konkret bedeutet das eine gewisse Reduzierung der globalen Verflechtungen, aber das ist nicht gleichbedeutend mit dem Zurückdrehen der Zeit, sondern mit einer sichereren und realistischeren Gestaltung der Zukunft.

Stattdessen macht sich gerade eine andere Sorge breit. Nein, nicht breit. Breit ist die Sorge ums Toilettenpapier. Erst wenige bangen um die Demokratie. Denn ein Virus führt uns drastisch vor Augen, welche Vorteile in der Diktatur liegen! Auch wenn grundlegende Skepsis angebracht ist gegenüber chinesischen Erfolgsmeldungen, so wird doch ein Punkt überdeutlich: in China hat man keine Zeit verlieren müssen mit Überredungskunst. Man hat verordnet und durchgesetzt. Punkt. Und war damit erfolgreich. Im (angeblich) freiesten Land der Welt hingegen beginnen gerade die Menschen zu sterben wie die Fliegen. In China werden die Menschen mit Atemschutzmasken versorgt, in den USA mit Schnellfeuergewehren.

Die Verlockung rigoroser, von niemandem kontrollierter, aber umso direkter und schneller wirksamer Maßnahmen wird größer, und in dieser Atmosphäre drohen demokratische Strukturen zu erodieren. Am deutlichsten ist das gerade in Ungarn zu sehen. Als hätte es 1933 nicht gegeben, entmachten sich die Claqueure des ungarischen Parlaments selbst, und geben einem Autokraten die Chance sich mit diktatorischer Macht auszustatten. Ein Ermächtigungsgesetz 2.0 dank Corona. Wenn das kein Stoff für Verschwörungstheorien ist.

Und? Sieht es bei uns besser aus? Ja. Und Nein. Da will in Nordrhein-Westfalen die Landesregierung ein Gesetz durchpeitschen, das tief in demokratische, in Bürgerrechte eingreift und Grundrechte ganz nonchalant aus den Angeln hebt. Und zwar zeitlich unbegrenzt!  Dass wir in der jetzigen, massenhaft lebensbedrohenden Situation nicht ohne Zwangsmaßnahmen auskommen, werden wahrscheinlich die meisten Menschen, wenn auch widerwillig, akzeptieren. Dass CDU und (ausgerechnet, steht das F nicht für freiheitlich?) FDP jetzt allerdings dermaßen einschneidende Einschränkungen von Grundrechten im diskussionslosen Eilverfahren durchdrücken wollen, als ginge es um eine Ausführungsbestimmung zu Urlaubsanträgen von Staatssekretären, muss doch auch in Deutschland nachdenklich stimmen.

Rechtsradikalen Tendenzen kann so etwas nur Aufschwung geben. Da wird ja schnell ein starker Staat, den wir in der Tat brauchen, mit einem starken Mann verwechselt. (Ob auch deshalb so viele plötzlich nach Söder statt nach Laschet schreien?) Ob wir aus der Corona-Pandemie positiv lernen, oder in geradezu archaische Muster verfallen, muss sich noch zeigen. Eines wird leider jetzt schon deutlich: in existenzbedrohenden, in krisenhaften Zeiten halten sich Menschen eher an das, was sie für bewährt halten und an das, was ihnen nahe steht. Für Flüchtlinge ist keine Zeit – und Intensivbetten schon mal gar nicht.

Und Regierungen, egal welcher Couleur, profitieren. CDU/CSU und SPD kommen auf lange nicht mehr erreichte Höchstwerte, was eigentlich völlig absehbar war.  Zugegeben, die deutsche Regierung macht einen insgesamt recht guten Job, aber deshalb muss man nicht alles, was in den letzten Jahren geschehen ist, und wofür die GroKo steht, vergessen. Aber die eigene Lunge ist den Wählern aktuell näher als der Klimakollaps in 20 Jahren, oder das elternlose Kind auf Lesbos. Und genauso absehbar schließen sich deshalb die Reihen um die Regierenden. Und in den Fox-verseuchten Ebenen und den lichtlosen Tälern der Ahnungslosen in den USA steigt gar die Zustimmung zu einem Präsidenten, der aber nun wirklich alles, was er falsch machen konnte, noch falscher gemacht hat. Auch das TIME Magazine, sonst relativ Trump-kritisch, hat Kreide gefressen und erfüllt, was die Redaktion jetzt wohl für ihre patriotische Pflicht hält: Durchhalteparolen, vorsichtige Hinweise auf das eine oder andere für Amerikaner natürlich lösbare Problem – und kein einziges klares Wort zu Trumps desaströsem Krisenmanagement.

Rational ist das Ganze nicht. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt. Hoffentlich nicht an Corona.

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