– Erfreuliche Nachrichten aus der AfD: Der eine Teil versucht sich den Anschein von Seriosität zu geben, indem er Kalbitz aus der Partei wirft, der andere steht zu seinen rechtsnationalistisch-völkischen Wurzeln. Plötzlich steht das Wort Spaltung im Raum. Sollte das, was in den zurückliegenden Jahren alle rechtsradikalen Parteien in Deutschland zerbröselte, jetzt doch noch in der AfD passieren? Schön wäre es ja, denn eine Meuthen-AfD würde wohl eher unter ‚Sonstige‘ fallen, und einer reinen Höcke/Weidel/Gauland-Partei gebe ich bei der Konkurrenz auf dem rechten Flügel bundesweit keine 5 %. Dafür würde dann endgültig klar, wie rechtsradikal Ostdeutschland wirklich ist (https://www.myview-wolfgangmebs.de/neue-dunkle-zeiten/).
Aber warten wir erst mal ab. Vielleicht werden ja demnächst Meuthen und Storch in die Wüste geschickt und werden dort, wie Frauke Petri, Marcus Pretzell und Bernd Lucke, spurlos verschwinden, während sich die AfD dann endlich ungehemmt rechts austoben kann. Bleibt sie ohne rechte Konkurrenz, bleibt abzuwarten, wie groß ihr Wählerpotential ist. Momentan kann man ja eher den Eindruck bekommen, dass abstruse Weltanschauungen und parlamentarismusfeindliche Einstellungen zunehmend Anhänger finden.
– Auf dem Weg zu einer besseren Bezahlung statt wohlfeilem Klatschen wurde ein erster konkreter Schritt gemacht: Die Groko brüstet sich damit jetzt vereinbart zu haben, dass es in der Altenpflege flächendeckende Tarifverträge geben soll.
Aber erstens: Bisher handelt es sich um eine reine Ankündigung. Mal sehen wie lange es bis zur ersten baren Lohnerhöhung dauert. Zweitens, warum nur in der Altenpflege??? Drittens läge selbst nach der geplanten Erhöhung der Lohn immer noch unter dem mittleren Einkommen für Fachkräfte, nur nicht mehr ganz so deutlich (https://www.myview-wolfgangmebs.de/die-zwickmuehle-schaeuble-und-das-leben/). Und viertens: wenn die Regierung das mit dem „flächendeckend“ wirklich ernst meinen sollte, was ich zu bezweifeln wage, dann müsste sich wesentlich mehr ändern, als der Mindestlohn.
Lediglich 20 % der 1,1 Millionen Beschäftigten in der Altenpflege haben aktuell Tarifverträge. Und das bisherige Verfahren – die Tarifpartner handeln einen Vertrag aus, der dann auf die gesamte Branche angewendet wird – wird in der Altenpflege nicht funktionieren. Da für die privaten Träger, die 50 % der Pflegeeinrichtungen betreiben, allein die Rendite systemrelevant ist, lehnen sie jedweden Tarifvertrag nach wie vor ab (und haben schon Verfassungsklage angedroht; führend in ihrem Lobbyverband ist interessanterweise FDP-Brüderle). Genauso wie die Kirchen, zuständig für weitere 30 % der Heime und ambulanten Dienste, die nicht dem für Normalsterbliche gültigen Arbeitsrecht unterliegen. Ohne eine grundlegende Strukturreform, wird sich für die meisten Beschäftigten also herzlich wenig ändern.
Und das betrifft ebenfalls die Finanzierung. Angemessene Löhne bedeuten höhere Kosten, und die dürfen nicht auf die zu Pflegenden abgewälzt werden. Aber hier ist eine Reform – z.B. die Festlegung eines Höchstbeitrags zur Pflege für die Versicherten und die weitere Finanzierung aus Steuergeldern – in noch weiterer Ferne.
– Eitle Freude allüberall – bei uns. Die Infektions- und Todeszahlen gehen zurück, mehr und mehr kehrt der Alltag ein, und der Eindruck macht sich breit: wie haben es geschafft. War doch gar nicht so schlimm. Autohäuser sind wieder geöffnet, Ikea und H&M, und der Mediamarkt auch, und das Klopapier ist uns nicht ausgegangen. Also wieder ran an die Arbeit und ans Konsumieren.
Wenn das mal gutgeht. Denn nichts ist vorbei. Da, wo unsere T-Shirts und Jeans, unsere Smartphones und In-Ears, unser Soja und Futtermais und hunderttausende Vorprodukte ausgegraben und hergestellt werden, da geht es erst richtig los. Überall in Asien und Lateinamerika steigen die Zahlen massiv an – und wir haben schon wieder vergessen, was exponentielles Wachstum bedeutet. Peru, mit bereits mehr infizierten als China; Brasilien mit dreimal so viel; in Ecuador bricht das Gesundheitssystem zusammen und die Toten liegen auf der Straße. Pakistan, Indien, Bangladesch, überall das Gleiche. Und die offiziellen Zahlen spiegeln mit Sicherheit nicht die Realität wieder. Bisher blieb nur Afrika relativ verschont, aber wer glaubt ernsthaft, dass das so bleibt? Man muss schon reichlich naiv sein zu glauben, dass die globalen Produktions- und Konsumketten von all dem unberührt bleiben. Wie gesagt (https://www.myview-wolfgangmebs.de/die-zwickmuehle-schaeuble-und-das-leben/), nicht nur in den Koltan-Minen im Kongo darf es keinen Lockdown geben, schließlich beruhen unsere Regale voller Billigprodukte auf der reibungslosen Ausbeutung des Südens. Dieses für uns so vorteilhafte System könnte jedoch dank Covid-19 arg ins Schleudern geraten. Nicht nur weil unter Pandemiebedingungen nicht ungestört weitergearbeitet werden kann. Vielen dieser Länder drohen auch massive sozialpolitische Verwerfungen mit ungeahnten Folgen für die politische Stabilität.
Aber wie bei unseren Schlachthöfen schauen wir erst dann richtig hin, wenn wir direkt, und zwar massiv betroffen sind. Wir hätten genug Zeit gehabt Vorkehrungen zu treffen, uns über internationale Hilfe für Afrika, Lateinamerika und Asien bei der Bekämpfung von Covid-19 Gedanken zu machen. Haben wir ernsthaft geglaubt, diese Länder blieben verschont? Wie in vergangenen Jahrzehnten haben wir die realen Lebensverhältnisse der Dritten Welt ausgeblendet. Sie waren uns letztlich egal. Aber diesmal wird es nicht bei ein paar herzzerreißenden Artikeln und Reportagen bleiben. Es ist zu fürchten, dass uns unsere Gleichgültigkeit zuerst vielen Tausenden das Leben kosten wird – und uns hinterher fürchterlich auf die Füße fallen wird. Leider ist es dann mit ein paar neuen Hygienevorschriften und besseren Unterkünften für Wanderarbeiter nicht getan.
Auch das sollte uns Covid-19 lehren: das wir den Spruch von der einen Welt und von globaler Verantwortung endlich ernst nehmen sollten.