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Auch Krimis kann man canceln

Matthias Dell, Kolumnist bei ZEIT-Online, hat mal wieder einen Tatort bewertet. Dass er kein gutes Haar an Drehbuch und Regie von „Die Amme“ lässt – geschenkt. Kann man unterschiedlich sehen. Genauso wie die schauspielerische Leistung. Max Mayer in der Rolle des Täters fand ich übrigens durchaus überzeugend. Hat Dell aber gar nicht gefallen. Okay.

Aber dann kommt es: Herr Dell ist fassungslos, weil der Tatort in völliger Verachtung der Genderdebatten einen Transvestiten als Mörder zeigt! Ein Mann in Frauenkleidern – das ginge heutzutage gar nicht mehr, meint er, und zieht in drastischen Worten über die Macher her, die mit ihrem Machwerk übelste Vorurteile über queere Menschen verbreiten und festigen würden.

Nun, mal davon abgesehen, dass Herrn Dell entgangen ist, dass die Sexualität des Täters im Film nicht die geringste Rolle spielte (es ging um eine pathologische Identifizierung aufgrund traumatischer Kindheitserfahrungen), kommt mir seine Rezension vor wie eine scheinkritische Anbiederung an den ach so genderbewussten Zeitgeist. Dass dieser Film die Vorurteile gegen Transsexuelle verstärkt haben soll, darf stark bezweifelt werden. Der eine oder die andere, die ohnehin der Ansicht sind, Männer in Frauenkleidern hätten einen an der Waffel, fühlt sich vielleicht bestätigt, mag sein. Aber das war’s dann auch.

Viel problematischer ist der Ansatz der Kritik. Wenn man Dells Kriterium anlegt, dann ist es aus und vorbei mit Kriminalfilmen. Letzte Woche im Polizeiruf war die Täterin eine Alleinerziehende mit prekärem Arbeitsverhältnis! Ist das nicht übelste neoliberale Propaganda? (Wo blieb da Herrn Dells Aufschrei?) Der Täter ein korrupter Polizist? Klischee! Bestätigt doch nur platte Vorurteile. Der Täter ein italienischer Mafiosi? Wollen die Macher etwa unterstellen, alle Italiener seien kriminell? Eine mordende Muslima? Absolutes Tabu. Weil ihr Mann sie jahrelang misshandelt hat? Haben Sie noch mehr gefährliche Verallgemeinerung auf Lager? Das gilt ebenso für Farbige (und jetzt beschwere sich niemand, dass ich ein deutsches Wort statt des politisch korrekten Englisch verwende), das gilt selbstverständlich auch für Homosexuelle, Türken, Chinesen, Kongolesen, Priester, Sozialhilfeempfänger, Politiker und Rollstuhlfahrer.

Was bleibt? Weiße Hetero-Männer. Aber keine alten. Und keine Reichen. Und keine Armen. Aber bitte, ohne Vorurteile gegen Männer zu schüren!

Und bevor ich es vergesse, folgende Filme gehören nach Dell’schen Regeln ab sofort auf den Index: Tootsie, Mrs. Doubtfire, Shakespeare in Love, Manche mögen’s heiß, Yentl (Frauen in Männerrollen geht natürlich auch nicht; wenn schon, denn schon), Rocky Horror Picture Show, Ein Käfig voller Narren – um nur einige zu nennen.

Politisch überkorrekt kann ganz schön eintönig, lebensfremd und humorlos sein.

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