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Weise Klatsche

Selten hat ein Finanzminister in Deutschland eine derart deftige Ohrfeige verpasst bekommen. So ziemlich alles, wofür Lindner (und die FDP) steht, wurde im neuen Gutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) kritisiert; so ziemlich alles, wogegen sich Lindner sträubt, wurde von den sogenannten Wirtschaftsweisen als notwendig erachtet. Allerdings war der SVR auch seit Langem nicht mehr so wenig neoliberal. Die haben halt endlich die Zeichen der Zeit erkannt: Höhere Steuern für Gutverdienende und Aussetzen der Schuldenbremse dringend geboten. Den Abbau der kalten Progression zugunsten der Entlastung der unteren Einkommensgruppen verschieben. Entlastungen ungerecht. Jeder auf der Pressekonferenz konnte den Fingerabdruck auf Lindners Wange sehen.

Und was macht er? Verkündet, dass auch der nächste Haushalt die Schuldenbremse einhält und dass höhere Steuern der Wirtschaft … etc. etc. etc. Man kennt den Sermon ja.

Dass der größte Teil dieser läppisch versteuerten Einkommen und Vermögen nicht in Produktion und Arbeitsplätze mündet, sondern auf den ohnehin übersättigten Finanzmärkten landet, muss man eigentlich keinem mehr sagen. Außer Lindner. Und der will es weder hören noch lesen. Auch nicht vom SVR. Die haben ja keine Ahnung von Leistungsträgern.

Temporäre (mehr nicht!) Erhöhung des Spitzensteuersatzes? Befristeter Energie-Soli für Spitzenverdiener? Teufelszeug für den Vertreter des wahren marktwirtschaftlichen Glaubens. Aufforderungen zu finanz- und sozialpolitischer Vernunft begegnet er lieber mit wirtschaftssakralen Holzpflöcken und Knoblauchzöpfen.

Dass vor allem die von der FDP durchgesetzten Elemente der Entlastungspakete, wie der Tankrabatt, in erheblichem Ausmaß den falschen Menschen zugutekommen, dass dieses Gießkannenprinzip unsozial ist und Geld verschleudert, lässt ihn natürlich genauso kalt. Als wüsste er das nicht. Sollte er es wirklich nicht wissen und ebenfalls nicht lesen, dann kommt zu ideologischer Vollvernagelung noch mangelnde Lernfähigkeit hinzu. Was auch niemanden überraschen dürfte.

Dass sein Haushalt das Werk eines völlig unbegabten Zauberkünstlers ist, der glaubt, die Schuldentaube wieder in seinem Zylinder verschwinden lassen zu können, ignoriert er mit typisch lindnerscher Blauäugigkeit. Er hält es im Gegensatz zum SVR nach wie vor für genial und finanzpolitisch ehrlich, neue Schulden in „Sondervermögen“ umzutaufen. Dabei nehmen ihm das ja nicht mal seine parteipolitischen Leidensgenossen ab.

Und so ist auch nicht damit zu rechnen, dass er freiwillig auf die reichlich sprudelnden Quellen zurückgreifen wird, aus denen selbst eine noch effektivere Hilfe für Sozialhilfeempfänger und Geringverdiener ohne weitere Schulden zu finanzieren wäre. Das ginge nur mit vorgehaltener Pistole – in Form der Koalitionsfrage. Aber das traut sich in der jetzigen Situation ja auch keiner.

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2 Antworten auf „Weise Klatsche“

“Das ginge nur mit vorgehaltener Pistole – in Form der Koalitionsfrage. Aber das traut sich in der jetzigen Situation ja auch keiner” – Tja, warum eigentlich nicht? Man muss sich das noch mal vor Augen führen: Die kleinste der drei Ampelparteien – 11,5% im Jahr 2021 – bestimmt zum großen Teil den Kurs und keine der beiden anderen traut sich, dem Einhalt zu gebieten. Dabei liegt die FDP zurzeit lt Umfragen bei 5-6%! Glauben Scholz, Habeck und Barbock wirklich, dass die es auf Neuwahlen ankommen liessen? Oder wollen die tief im Herzen auch nicht die potentiell reichlich sprudelnden Quellen anzapfen?

Letzteres glaube ich eigentlich nicht, da zumindest das Führungspersonal ohnehin finanziell ausgesorgt hat und auch ohne Regierungsamt weiterhin kräftig draufsatteln kann, wenn es ihnen noch nicht reicht. Ich denke eher, es ist die Angst vor dem Wähler, die Befürchtung, als Schuldiger einer ‘Staatskrise’ (ausgerechnet in einer internationalen Krise) dazustehen. Und bisher haben die Grünen noch nie annähernd ihre Umfrageergebnisse in Stimmen ummünzen können. Dennoch finde ich auch, die Grünen sollten jetzt mehr Mut beweisen. Sie könnten sogar die COP27 als zentrales Argument verwenden, nach dem Motto: Jetzt erst recht müssen einzelne Länder vorangehen und das geht nicht mit der FDP, weder ökologisch noch sozial- noch steuerpolitisch. Aber leider scheint die Führung viel zu harmoniesüchtig zu sein; so wie die sich von Lindner und Scholz vorführen lassen, gibt es bisher jedenfalls wenig Aussicht auf mehr Standhaftigkeit. Ein netter Mensch zu sein und sympathisch ‘rüberzukommen’, reicht im politischen Geschäft eben nicht aus.

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