Kategorien
Allgemein Artikel und Essays Politik/Wirtschaft

Wider die Alternativlosigkeit

In der Diskussion um den Wagenknecht/Schwarzer-Aufruf zeigt sich wieder einmal, wie festgefahren und kompromisslos die Diskussion mittlerweile geworden ist. Es gab einmal Zeiten, da hätte ein Aufruf zu Friedensverhandlungen allgemeine Zustimmung gefunden. Heute ist er Anlass für Häme und Beleidigungen. Gibt es denn wirklich nicht anderes momentan als Kapitulation oder totalen Krieg?

Ich behaupte, es geht durchaus anders und da muss nicht erst der chinesische Außenminister kommen und es uns vormachen (wobei dahingestellt sei, was er denn bei seiner Rede auf der Münchener Sicherheitskonferenz im Auge hatte). Dabei werden Verhandlungen mit jedem Tag wichtiger – und das liegt auch an Entwicklungen in der Ukraine.

Putin weiß, dass der Westen weiterhin die Ukraine massiv unterstützen wird. Zelensky jedoch müsste ebenso klargemacht werden, dass es Grenzen gibt. Grenzen, die gerade überschritten werden sollen. Schon die Forderung einer Flugverbotszone, die unweigerlich zu einer NATO-Russland-Konfrontation führen würde, ist hanebüchen. Dass von ukrainischer Seite jetzt der Einsatz von Streumunition gefordert wird, zeigt, dass dort offensichtlich ein paar Sicherungen durchbrennen. Jetzt scheinen zumindest einige in der ukrainischen Führung bereit, das humanitäre Völkerrecht zu missachten (Streubomben-Konvention vom 1. August 2010) und sich damit auf Putins Niveau zu bewegen – und erwarten, dass die westlichen Verbündeten es ihnen gleichtun. Spielt hier der Wunsch nach Rache eine größere Rolle als der militärische Nutzen? Jetzt ist es an der Zeit, Zelensky unmissverständlich klar zu machen, dass eine derartige Eskalation nicht unterstützt wird, sondern im Gegenteil seine internationale Position erheblich schwächen würde.

Ich denke, den allermeisten ist klar, dass es im Moment keinerlei Bereitschaft auf russischer Seite zu ernst gemeinten Verhandlungen gibt. Leider bekommt man den Eindruck momentan auch von ukrainischer Seite. Aber das heißt doch nicht, dass man nicht bereits jetzt Strukturen schaffen kann, die in ein paar Monaten zu echten Gesprächen zumindest über einen Waffenstillstand genutzt werden können.

In einer gemeinsamen Initiative der EU (man kann ja mal bei Xi Jinping und Biden nachfragen, ob sie den Aufruf unterzeichnen würden) könnte Russland und der Ukraine angeboten werden, sich an einem neutralen Ort (z. B. in der Schweiz) zu Gesprächen zu treffen. Beide Seiten können Delegierte entsenden, die zu Beginn ja nicht einmal, wenn es ihnen denn momentan noch so schwerfällt, direkt miteinander reden müssen, sondern über zwei Mediatoren, die von jeweils einer Seite ausgewählt werden. Ziel sollte zunächst sein, dass Russland und die Ukraine sich zu konkreten Kriegszielen und Bedingungen für einen Waffenstillstand äußern.

Auf diese Weise würde zumindest Druck auf beide Kriegsparteien ausgeübt, die bei einer Ablehnung öffentlich kundtun müssten, dass ihnen die Fortführung des Krieges wichtiger ist. Lehnen beide Seiten ab, sollte diese Initiative einen erneuten Zeitpunkt zwei, drei Wochen später vorschlagen, um den öffentlichen Druck aufrecht zu erhalten. In der Zwischenzeit könnten von dieser Initiative selbst Konzepte entwickelt werden, wie die Kriegsparteien in kleinen Schritten aufeinander zugehen können.

Dabei muss eines auch der Regierung Zelensky klar sein: Sollte das Ziel nicht mehr allein die Souveränität der Ukraine (und internationale Sicherheitsgarantien) sein, sondern die totale Kapitulation Russlands und eine größtmögliche Demütigung Putins, dann wird dieser Krieg noch Jahre dauern und erstens ein bis auf die Grundmauern zerstörtes Land hinterlassen. Zweitens würde weiterhin das Risiko einer Eskalation wie ein Damoklesschwert über Europa und der Welt hängen.

Schon vor dem Krieg hatte man sich international und im Grunde auch in der Ukraine damit abgefunden, dass die Krim endgültig verloren ist. Dies wäre ein Ansatzpunkt, um auch Putin die Möglichkeit zu lassen, nicht völlig sein Gesicht zu verlieren. Was den Donbass betrifft, könnte über eine größere Autonomie innerhalb der Ukraine gesprochen werden. Und wer partout in der russischen Diktatur leben möchte, dem könnte mit internationalen Hilfsgeldern unterstützt die Umsiedelung angeboten werden. Inwieweit man Russland (nicht Putin) im Laufe der Zeit wieder in internationale Organisationen aufnimmt, wäre ein weiteres Thema, mit dem Gespräche schmackhaft gemacht werden könnten.

Mir ist klar, dass eine solche Initiative nicht morgen für Frieden sorgt, auch nicht in zwei, drei Monaten, aber was spricht dagegen, jetzt schon ein Fenster zu öffnen für Gespräche? Insbesondere, wenn beiden Seiten ebenso deutlich wird, dass auch ihre Position keine bedingungslose Unterstützung findet. China einzubinden scheint zudem nicht unmöglich, denn auf der Münchener Sicherheitskonferenz gibt es erste Anzeichen eines vorsichtigen Umdenkens in Peking.

So unversöhnlich sich die beiden Kriegsparteien gegenüberstehen, so wenig Sinn macht es, wenn der Westen sich der Unversöhnlichkeit anschließt und der scheinbaren Alternativlosigkeit zwischen totaler Aufrüstung der Ukraine oder einem ganz Europa überflutenden russischen Imperialismus unterwirft.

Facebooktwitterredditpinterestlinkedinmail

4 Antworten auf „Wider die Alternativlosigkeit“

„Mir ist klar, dass eine solche Initiative nicht morgen für Frieden sorgt, auch nicht in zwei, drei Monaten, aber was spricht dagegen, jetzt schon ein Fenster zu öffnen für Gespräche? “ Da bin ich ganz deiner Meinung! Wie Heribert Prantl es in der SZ so schön ausdrückte: „Der Frieden ist noch ein ungelegtes Ei, aber man sollte schon einmal ein Nest bauen.“
Die Alternative ist keine: Verbrannte Erde – in der Ukraine und wohl auch anderswo.

Eine sehr schöne Metapher. Momentan sehe leider unter den dafür zuständigen Vögeln keinen, der bereit wäre, schon einmal die ersten Zweige zu sammeln.

Guten Abend Herr Mebs,
nicht zum Thema, aber dies war die einzige Kontaktmöglichkeit für eine ehemalige Schülerin 🙂
Viele Grüße aus Salalah!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert