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Für einen Systemwechsel in der Daseinsvorsorge

Bundesgesundheitsminister Lauterbach plant eine neue Vergütungs- und Planungsstruktur für Krankenhäuser. In Köln sollen einige Kliniken bzw. einzelne Abteilungen geschlossen und sogenannte „medizinische Versorgungszentren“ geschaffen werden. Schmackhaft gemacht werden uns diese Scheinreformen mit angeblich besserer Versorgung – selbst wenn das dazu führt, dass manche Frau eine Stunde bis zur nächsten Geburtsklinik fahren muss. Und mit höherer Kompetenz der Behandelnden – wobei zunächst einmal nur mehr Routine gemeint ist. Auch soll der Personalschlüssel dann besser werden – obwohl die immer noch selbe Anzahl an Patienten auf faktisch weniger Personal trifft.

In Wirklichkeit ist das Ziel hinter all diesen ‚Reformen‘ ein ganz anderes: Man will Geld sparen. Krankenhäuser sollen rentabler werden. Dabei stehen sie schon viel zu lange unter dem Primat ökonomischer Effizienz. Die Folgen sehen wir überall: längere Wartezeiten, schlechtere Versorgung und Pflege durch zu wenig und immer häufiger ausgebranntem Personal, multiresistente Keime aufgrund zu geringer Hygiene aufgrund von Outsourcing, sprich geringer qualifiziertem und schlecht bezahltem Personal.

Was wir in Wirklichkeit brauchen, ist ein kompletter Systemwechsel in der Daseinsvorsorge (und da ist das Gesundheitswesen nur ein Teilbereich), denn eines muss allen endlich klar werden:

Humane Daseinsvorsorge ist nicht profitabel!

Das oberste Leitziel in einem der reichsten Länder der Welt muss die bestmögliche Versorgung, Behandlung und Betreuung der Menschen sein, unserer Kinder, unserer Kranken, unserer Alten. Das heißt, dass Daseinsvorsorge für die breite Mehrheit nicht in private, sondern in staatliche Hände gehört.

Man erspare mir den Hinweis, der Staat könne nicht mit Geld umgehen. Mag sein, dass der mehr Geld ausgibt für Löhne und Personal und Verwaltung. Mag sein, dass er weniger effizient arbeitet als turbokapitalistische Investmentfonds. Aber niemals darf in einem Land, das sich den Menschenrechten verpflichtet fühlt, der Personalschlüssel in Krankenhäusern und Pflegeheimen von den Renditeerwartungen privater Investoren abhängen.

Und wer meint, in einem privaten Pflegeheim besser aufgehoben zu sein und weiterhin unter seinesgleichen sein und in einem Sternerestaurant verpflegt werden möchte, für den wird sich dann immer noch eine Résidence Séparée finden.

Ja, ich höre das Geschrei: Und wer, bitte schön, soll das alles bezahlen? Na, wer schon? Wir. Dafür zahlen wir Steuern und Sozialabgaben. Schließlich ist es unser Gemeinwesen. Unsere Kinder, unsere Kranken, unsere Alten. Wir bräuchten allerdings mehr Geld. Und dieses Geld ist da. Wir müssen es uns nur von den richtigen Leuten holen, nämlich von denen, die am meisten von unserer in den letzten Jahrzehnten überwiegend freien statt sozialen Marktwirtschaft profitieren.

Ein paar wenige Beispiele:

In Deutschland wurden in den letzten Jahren jährlich etwa 400 Mrd. Euro verschenkt oder vererbt. Dem stehen Steuereinnahmen von acht Mrd. gegenüber. Gerade mal zwei Prozent. Selbst mit einer moderaten Erhöhung der Erbschaftssteuer ließen sich hier jährlich 10 – 15 Mrd. an zusätzlichen Einnahmen generieren, ohne dass es zu einer Massenflucht kommen würde. Übrigens, die Behauptung, wir hätten es in Deutschland mit einer Erbengeneration zu tun, geht an der Realität vorbei: Zwei Drittel der Deutschen erben nämlich: nichts. 1

Nähme man sich ein Beispiel an der Schweiz und würde die Beitragsbemessungsgrenze in der Sozialversicherung streichen, ließe sich allein damit die Finanzierung des aktuellen Gesundheitswesens sichern!2

Viele Familienleistungen sind an die Höhe des Einkommens gekoppelt, das Kindergeld nicht. Aber ich habe erhebliche Probleme damit zu verstehen, warum eine Familie mit einem Einkommen über 100.000 €/a dieser finanziellen ‚Hilfe‘ bedarf oder gar ein CEO mit Millionengehalt (während Sozialhilfeempfängern die Erhöhung des Kindergeldes gleich wieder vom Regelsatz abgezogen wird). Dieser sozialpolitische Unsinn wird gemeinhin mit dem Verweis auf Art 6, Abs. 1 GG (Schutz von Ehe und Familie) gerechtfertigt. Doch selbst der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages sieht keinerlei verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Einführung eines einkommensabhängigen Kindergeldes!3

Muss ich den Höchststeuersatz noch erwähnen? Momentan zahlt man bei einem Bruttojahreseinkommen von 100.000 € 34.500 € Steuern. Theoretisch! Denn da sind die diversen Abschreibungsmöglichkeiten, die in erster Linie Besserverdienenden zu Gute kommen, noch nicht berücksichtigt. Wer effektiv mehr als 28 – 30.000 zahlt, hat einen schlechten Steuerberater. Gibt es wirklich jemanden (von der FDP und Herrn Merz mal abgesehen), der ernsthaft glaubt, dass es sich für diese Menschen (100.000 und mehr = sechs Prozent der Einkommensbezieher) nicht mehr lohnt zu arbeiten oder ihre volle Leistung zu erbringen, wenn sie ein paar Prozent mehr zur Finanzierung des Gemeinwohls abgeben müssten? Dass die dann alle auswandern? Dass sich in Deutschland keine CEOs mehr fänden, wenn die hier nur noch vier statt fünf Millionen verdienen würden?

Natürlich könnte man noch über die Vermögenssteuer reden, die Kilometerpauschale, die Beitragspflicht in die Sozialversicherung für alle. Oder warum die Kapitalertragssteuer pauschal 25 % beträgt, egal ob mein schon vorhandenes Geld für mich 1.000 € zusätzlich erwirtschaftet hat oder 100.000 €.

Mit anderen Worten: Wir müssen unser Sozial- und Gesundheitssystem nicht kaputtsparen. Wir können die Leistungsträger in diesem System angemessen bezahlen. Wir können Artikel 1 des Grundgesetzes ernst nehmen. Wir müssen nur wollen. Dann müssen wir aber auch die wählen, die damit ernst machen wollen.

1  https://www.br.de/nachrichten/deutschland-welt/erbschaftssteuer-wird-fuer-viele-steigen-wie-gerecht-ist-das,TOUOZ2C

2 Siehe z. B.

https://www.aerzteblatt.de/archiv/38068/Gesundheitsreform-Loesungsvorschlag

https://www.vdaeae.de/index.php/presse/2022/1217-pressemitteilung-zur-gkv-finanzstabilisierung

3 https://www.bundestag.de/resource/blob/423606/863a16a535e22260ded0afdae349c479/wd-3-199-08-pdf-data.pdf

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Eine Antwort auf „Für einen Systemwechsel in der Daseinsvorsorge“

Du sprichst mir aus der Seele, Krankenhäuser und eigentlich das gesamte Gesundheitswesen, sollte keine Organisation sein, die Profit erwirtschaften muss, es kostet Geld und das ist auch in Ordnung, es ist eine Investition in die Gesundheit unserer Bürger, genau wie auch die meisten Teile des Bildungssystems, nicht Gewinn-orientiert sind.

Die Stärke eines Landes zeigt sich doch daran wie es mit seinen schwächsten Mitgliedern umgeht. Mich interessiert nicht wie viele Milliardäre es hervorbringen kann, sondern wie es mit Alten, Kranken, Gebrechlichen, Behinderten und Obdachlosen umgeht.

Und ich gebe dir recht, es ist bezahlbar, viele Möglichkeiten für sinnvolle Steuerreformen hast du ja schon genannt.
Der Maximalsteuersatz von 42% ist übrigens schon bei 58.597 Euro erreicht. Zusätzliche 3% auf 45% gibt es ab 277.826, der sogenannte Reichensteuersatz, wie du aber sagst, ein guter Steuerberater kann dies deutlich drücken.

Eins wollte ich noch hinzufügen, auch wenn dies durch Steuerreformen ermöglicht werden kann, wäre meine Vermutung das sich ein nicht unwesentlicher Teil der Kosten am Ende selbst trägt wenn wir durch ein besseres System, Kranke und Behinderte der Arbeitswelt (schneller) wieder zuführen können, wenn wir nicht mehr an Vorsorgeuntersuchungen sparen, die nämlich deutlich günstiger sind, als wenn die Erkrankung viel zu spät erkannt werden. Und wenn wir länger gesund sind, dann auch länger arbeiten können.

Ich will jetzt nicht für die Rente ab 70 werben, aber Leute die länger gesund sind, gehen nicht(so oft) in Frührente. Um 2000 herum, hatten wir noch einen Anteil von 14.5% an Leuten die frühzeitig in Rente gegangen sind, gegen 2011 sind von knapp 700.000 neuen Rentnern, etwa 337.000 Leute früher in die Rente gegangen (48.1%). Neue Zahlen sind schwerer zu finden, aber 2017 gab es dann schon 420.000 Anträge auf Frührente.

Mir wäre also lieber, das Deutschland einem Dänemark nacheifert, und weniger der USA, ansonsten müssen bei uns die Leute vielleicht auch bald Abends in eine Gaming-Show um sich die nächste Behandlung leisten zu können.

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