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Woelki et al

Die katholische Kirche hat sich entschieden, sich so allmählich ganz, zumindest aus der deutschen Gesellschaft, zu verabschieden. Weder haben die Kirchenfürsten begriffen, dass der jahrhundertealte Mythos von der Unreinheit der Frau und der auch religiösen Überlegenheit des Mannes allenfalls Menschen mit einem Selbstwertgefühl unterhalb der Grasnarbe und ausgeprägter Angst vor der Lebensenergie von Frauen sinnvoll erscheinen mag – weswegen diese sich auch weiterhin mit der zweiten Reihe, und zwar gefälligst demütig, zufriedengeben und gemäß des Paulus-Dekrets in der Gemeinde schweigen sollen.

Noch sind die, die jedwede Form von Sexualität verteufeln, die nicht ausschließlich der lustfreien Befruchtung der minderwertigen Weibchen dient, in der Lage, ihre altehrlose Tradition des sexuellen Missbrauchs rechtlich und moralisch aufzuarbeiten. Schutz des Menschen heißt hier nach wie vor Schutz der Täter. Schließlich haben die ja bereut und gebeichtet. Und das ist doch das Praktische an der Beichte und der Reue. Man kann hinterher weiter sündigen, solange nur die Opfer ausgewechselt werden. Dann wieder Reue, Beichten und Büßen (in Form einer willkürlichen Zahl von Ave Marias beispielsweise oder der Versetzung in eine weniger brokatreiche Gemeinde). Bis man alt genug ist, um von Kardinal Woelki auf Grund der Gebrechlichkeit (nach dem Motto, jetzt kriegt er sowieso keinen mehr hoch), als allerhöchstens leider bedauerlicher Fall ad acta gelegt zu werden.

Nein, dieser Kirche geht es nicht um Moral. Dieser Kirche geht es um den schönen Schein. Wobei dem Heiligenschein allmählich die Birnen durchbrennen. Allerdings muss angefügt werden, dass das nicht an Kardinal Woelki liegt. Der ist doch nur einer unter vielen, der uns in Köln und NRW besonders auf die verteufelten Eier(stöcke) geht. Woelki ist Repräsentant und repräsentativ für die katholische Kirche insgesamt, für die Mehrzahl der Bischöfe und Kardinäle, für Glaubenskongregation und Ratzinger und ein seit Jahrhunderten verstaubtes Menschenbild. Daran ändert auch ein einzelner Franziskus nichts, wie man an der Freisprechung Woelkis durch den Vatikan ersehen kann. Gnädig ist man mit dem Fehlenden und Gott hält gerade Mittagsruhe.

Und jetzt auch noch das: Dank der Caritas, ihres Zeichens angeblich Wohlfahrtsverband der römisch-katholischen Kirche in Deutschland und laut eigener Satzung nicht der Gewinnmaximierung, sondern dem Schutz der Menschenwürde und der Solidarität verpflichtet, hat sich jetzt einem flächendeckenden Tarifvertrag für Pflegekräfte verweigert – und damit einen allgemeinverbindlichen Tarifvertrag für die Branche verhindert. Einem Vertrag, der nicht nur von Verdi und Arbeitsminister Heil getragen wird, sondern sogar vom Arbeitsgeberverband BVAP (Bundesvereinigung Arbeitgeber in der Pflegebranche); einem Vertrag, der nicht einmal zu Löhnen geführt hätte, die diese Menschen wirklich verdient hätten. Stattdessen hat sich die Caritas auf die Seite der investorenfreundlichen und renditeorientierten Privatwirtschaft geschlagen. Natürlich nicht aus profanen ökonomischen Interessen. Nein, nein! Hier geht es allein um Tarifautonomie. Einer von materiellen Interessen natürlich völlig unberührten moralischen Institution. Nein. Die katholische Kirche besteht einfach darauf, Dumpinglöhne als gottgegeben hinzunehmen. Und der schönste aller Löhne ist doch immer noch der Gotteslohn, nicht wahr? Selig sind doch, wer wüsste das nicht, die Armen.

Man fragt sich, was in den Köpfen der katholischen kirchlichen Entscheidungsträger angesichts dieser Dinge so vorgeht. Finden sie die sprunghaft steigenden Austrittsanträge, für die man unverschämterweise sogar noch zu einem Gespräch erscheinen muss, eigentlich überraschend? Und worüber wollen die eigentlich reden? Über all das Gute, das die Kirche doch auch tut? Auch. Ja. Auch. Neben all dem, warum immer mehr Menschen, die an Solidarität, Spiritualität und Nächstenliebe glauben, sich von einer in Selbstverherrlichung und Realitätsverweigerung verkrusteten Institution abwenden. Zu Recht. Gott sei’s geklagt.

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3 Antworten auf „Woelki et al“

Danke Wolfgang, für deine überaus differenzierte Antwort, der ich vollständig zustimmen kann!!
Und natürlich braucht ein Kommentar durchaus die Zuspitzung. Und das kannst du sehr gut.

Einspruch Euer Ehren….
Lieber Wolfgang, ich schätze deine Kommentare und deine Analysen sehr, aber dein Rundumschlag (Wolke et al) gegen die katholische Kirche ist, das muss ich leider so sagen, reine Polemik, die auch nur sehr schwache Argumente enthält.
Sicherlich ist Kirchen Bashing sehr angesagt und damit ist man sich des Beifalls (fast) immer sicher. Aber wenn du schon einleitend von der „katholische[n] Kirche“ sprichst, die sich „aus der deutschen Gesellschaft“ verabschiedet, dann machst du nicht ganz klar, dass du natürlich die Hierarchie meinst. Denn zur katholischen Kirche zähle ich mich auch, als offener, toleranter, liberaler Religionslehrer, der versucht befreiende Gottes- und Religionsgedanken zu vermitteln. So wie sicherlich die Frauen von „Maria 2.0“, die sehr laut und eindringlich ihre Forderungen gegen diese Männerkirche erheben. Oder die Menschen im Zentralkomitee der deutschen Katholiken, die den Synodalen Weg vorantreiben. Oder progressive Theologen, die an Universitäten die unterschiedlichsten exegetischen, spirituellen, politischen, sozialen Ansätze vertreten, auch gegen eine Amtskirche, die ihnen nicht gewogen ist. Oder viele „einfache“ Gläubige, die trotz oder gerade wegen dieser Unerträglichkeiten in der Kirche bleiben. Solche Menschen, ich mache mich zu ihrem Sprecher, müssen sich durch deine Aussagen vor den Kopf gestoßen fühlen.
Über die Sexualmoral brauchen wir nicht zu streiten. Es ist keine Frage, dass die Kirchenhierarchie dazu ein Verständnis hat, das überhaupt nicht von der Mehrzahl der Gläubigen akzeptiert, geschweige denn gelebt wird. Auch bei Woelki ist es unstrittig, dass er ein Vertuscher ist, der zurücktreten muss. Aber deine Aussage, dass mit der Beichte doch alles schnell geregelt ist, ist natürlich nicht wahr. Das weißt du auch. Abgesehen davon, dass die Beichte sicherlich das Sakrament ist, was von den allermeisten Katholiken überhaupt nicht mehr praktiziert wird, ist es natürlich kein Zeichen echter Reue, wenn man nach der Beichte „lustig weitersündigt“.
Woelki ist sicher „Repräsentant“, aber ganz sicher nicht „repräsentativ für die katholische Kirche insgesamt“. Denn Woelke steht extrem unter Druck. Zudem: Es gibt auch positive Gegenbeispiele für die Aufarbeitung des Missbrauchs. Das Bistum Aachen hat seinen Bericht darüber transparent veröffentlicht, hat Namen von Vertuschern – auch ehemalige Bischöfe – genannt und damit einen ganz anderen Weg beschritten und damit auch für andere Bistümer vorgezeichnet.
Zur Caritas: Du legst nahe, dass sie sich dem flächendeckenden Tarifvertrag verweigert, weil sie keine ordentlichen Löhne für die Menschen in der Pflegebranche bezahlen will und sich auf die Seite der „investorenfreundlichen und renditeorientierten Privatwirtschaft geschlagen“ hat. Hier liegst du leider falsch, denn genau das kann man der Caritas in diesem Zusammenhang nicht vorwerfen. So kann man in der unverdächtigen Süddeutschen Zeitung (26.2.21) und auch in der ZEIT (online) nachlesen, dass die Caritas ihren Pflegekräften weit mehr als sonst in der Branche zahlt, zum Teil sogar mehr als der neue Mindestlohn. (Für Fachkräfte teilweise 24 Euro/Stunde). Die Caritas will nur deshalb diesen Tarifvertrag nicht, weil sie kein Tarifsystem akzeptieren will, welches den Streik in ihren Einrichtungen ermöglicht. Schlimm genug. Aber darauf hast du nicht abgezielt.
Also, mein lieber Wolfgang, sachlich darf man über alles streiten. Aber man kann mit überzogener Polemik auch schon mal ziemlich daneben liegen….

Du hast Recht, Peter,
der Text ließe sich an einigen Stellen verbessern. Auf der einen Seite plädiere ich stets für differenzierte Analyse, auf der anderen Seite ist da die Lust an Ironie, manchmal auch Sarkasmus und, ja, auch an Polemik, am groben Keil auf den groben Klotz, wenn mir mal wieder der Hut hoch geht angesichts von Engstirnigkeit, Ungerechtigkeit und Heuchelei – und davon entdecke ich in der katholischen Kirche jede Menge.

Aber erstens hätte ich natürlich deutlich unterscheiden müssen zwischen dem Fußvolk und der Amtskirche – denn gegen sie richtet sich mein Kommentar. Gegen die in ihrem Männerverein, ihren Riten und ihren prächtigen Ornaten erstarrten Würdenträger, die sich nach wie vor in einem von Korpsgeist geprägten Paralleluniversum abschotten. Natürlich weiß ich um all diejenigen, die an der Basis zentrale soziale und seelsorgerische Arbeit leisten und spirituellen Halt bieten, und ich bewundere beispielsweise den Kölner Pfarrer Franz Meurer, der außergewöhnliche Arbeit leistet, ganz unten, und ein Beispiel gibt für ernstgemeinten, von christlichem Glauben inspirierten Einsatz für “die Mühseligen und Beladenen”. Aber diese Menschen prägen halt nicht die Amtskirche. Hier treffen zwei Welten aufeinander.

Und darauf bezog sich der Satz, die katholische Kirche verabschiede sich aus der deutschen Gesellschaft: ihr laufen die Mitglieder in Scharen davon. Hier hätte ich den Bezug deutlich machen müssen. Das Gebahren der wenig erwürdigen Würdenträger ruiniert die Glaubwürdigkeit der katholischen Kirche. Kardinal Meisner hat in Köln schon mehrere Austrittswellen verursacht und Woelki setzt diese ‘Tradition’ fort. Tausende wenden sich in den letzten Monaten ab. Alle Termine bis April sind schon ausgebucht. (Wobei ich die mittlerweile notwendige ‘Gewissensprüfung” für eine Unverschämtheit halte.) Ein Bekannter, der sein Leben lang ehrenamtlich tätig war und der Kirche immer wieder die Stange gehalten hat, wird jetzt auch austreten. Woelkis Predigt, in der er sich bei den Gläubigen dafür entschuldigte, dass sie so viel Kritik an seiner Person ertragen mussten, hat ihm den Rest gegeben.

Was die Aufklärungsarbeit angeht: Ja, in Aachen lief das anders. Jetzt könnte ich wieder auf Köln verweisen oder auf Berlin, wo ebenfalls eine Missbrauchsstudie in Auftrag gegeben wurde, von der das Erzbistum allerdings ganze 160 von 600 Seiten veröffentlichte. Die Namen von (mutmaßlichen) Tätern und für Vertuschung Verantwortlichen bleiben weiterhin unter Verschluss. Und dass der Vatikan Woelkis Missachtung der Meldepflicht unter rabbulistischer Verdrehung des eigenen Rechts nachträglich absegnet, hat nicht nur Kirchenrechtler auf die Palme gebracht. Die Entscheidung der Glaubenskongregation ist juristische Willkür reinsten Wassers. Aufklärung und Reform sind ihre Sache nicht.

Und genau deshalb verlieren ja immer mehr Menschen den Glauben an diese Institution. Es gibt Maria 2.0, es gibt Herrn Bätzing, es gibt Pfarrer Meurer, aber die Kirchenspitze in Deutschland und im Vatikan (in dem ja selbst der aktuelle Unfehlbare nicht überall beliebt ist) steht mächtig auf der Bremse. Selbst von vorsichtigen Fortschritten zu reden, erscheint mir da als Euphemismus. Wenn das so weitergeht, ziehen sich Reformen und kriminelle Aufarbeitung noch weitere 100 Jahre hin. Bis dahin ist der Anteil der Mitglieder an der Bevölkerung einstellig.

Und die Caritas, wenn es die dann noch gibt, beschäftigt zu 90 % Atheisten, Protestanten und Muslime.

Mein Kommentar dazu war in der Tat zu undifferenziert. Die Löhne der Caritas hätte ich lobend erwähnen müssen. (Nun könnte ich aber auch wieder Erika erwähnen und ihre eigene jahrelange Erfahrung mit katholischen Arbeitgebern, als Pflegekraft und bei dem Versuch gewerkschaftliche Arbeit zu machen; den “Gotteslohn” kennt sie nicht als Polemik, sondern als Zitat). Meine Wut richtet sich gegen die verweigerte Solidarität mit den anderen hunderttausenden Beschäftigten in der Pflegebranche – und insofern macht sich die Caritas mit der Verweigerung eines allgemeingültigen Tarifvertrags zum Gehilfen der Privatwirtschaft. Zudem stellt sich auch hier wieder eine katholische Institution außerhalb der Gesamtgesellschaft und beharrt auf Sonderrechten. Das Urteil des EuGH von 2018 zur Einstellungspraxis hat ihnen ja schon nicht geschmeckt. An den Skandal, Arbeitsnehmern ein demokratisches Recht, das Streikrecht, verweigern zu dürfen und darauf zu bestehen, hatte ich beim Schreiben gar nicht mal gedacht.

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