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Allgemein Der tägliche Wahnsinn

Vor-Merz

Na also, jetzt hat er es endlich gesagt: Merz will vorne sitzen.

Und nicht nur er, nein, das gilt gleich für ganz Deutschland, ein Land, das wieder führen müsse. “Das wird von uns erwartet.” Ach, wirklich? Von wem? Von Polen? Ungarn? Italien? Von Trump etwa? Oder ist ihm da ein pluralis majestatis rausgerutscht, weil er sich selbst auch schon als Kanzler sieht (der Parteivorsitz alleine wird ihm definitiv nicht reichen), und dann aber so was von richtig vorne weg gehen will?

So ein bisschen will er wohl die Trump-Karte spielen, nach dem Motto: ‘Macht Deutschland wieder groß’, um all die hinter sich zu versammeln, die sich zu kurz gekommen fühlen. Dass er dem präsidialen Männchen durchaus etwas abgewinnen kann, hat er ja schon früher bekundet, z.B. in der FAZ: “Ich gehöre nicht zu denen, die alles kritisieren, nur weil es von Trump kommt. Es kann durchaus sein, dass dieser Präsident noch für Überraschungen im positiven Sinne gut ist”. Dass er dabei vor allem an massive Steuersenkungen für Unternehmen denkt, ist wenig überraschend. (https://www.faz.net/aktuell/finanzen/finanzmarkt/friedrich-merz-im-interview-5-euro-am-tag-reichen-um-reich-zu-werden-15356935.html)

Auch manch andere Äußerung zeigt eine gewisse Verwandtschaft der Denkstrukturen, inklusive Realitätsverlust. Merz, der Millionär, besitzt die Dreistigkeit, sich selbst als gehobene Mittelschicht zu bezeichnen, also quasi als einen von uns. (https://www.bild.de/politik/inland/politik-inland/friedrich-merz-live-im-bild-talk-was-koennen-sie-besser-als-merkel-58415532.bild.html). Nicht nur glaubt er an Steuererklärungen im Bierdeckelformat – das hätte unser Mann “in geordneten Verhältnissen” (s.o., Bild) wohl gerne. Bei Arbeitnehmerrechten geht völlig der neoliberale Gaul mit ihm durch. So verkündete er, man könne komplett auf Kündigungsschutz für über 53jährige verzichten, weil das mehr Arbeitsplätze schaffen würde (https://www.tagesspiegel.de/politik/altlasten-des-cdu-politikers-was-friedrich-merz-frueher-forderte-und-wie-er-abstimmte/25555560.html). Er sagt wohl auch gerne: “You’re fired!”

Wie man geordnet in die obere Mittelschicht aufsteigen kann, hat er uns auch schon erklärt, und zwar ganz einfach: jeden Tag 5 Euro in Aktien anlegen und, schwupps, hat man nach 10 Jahren aus 18.000 € ein ‘Vermögen’ von 40.000 € gemacht (s.o., FAZ). Ob er selber weiß, dass er dabei den üblichen Anlageberaterblödsinn erzählt und einfach die durchschnittliche Entwicklung von Fonds aus einer günstigen Periode in der Vergangenheit wählt und so tut, als handele sich um sichere Gewinne in der Zukunft? Davon abgesehen fantasiert er von einer Goldgrube, denn er geht dabei von einer durchschnittlichen jährlichen Rendite – 10 Jahre lang!!! – von sagenhaften 12 % aus. Als Sparkassenberater möchte ich den Mann nicht sehen.

Aber Merz lebt ja eher in den höheren Sphären der Blackrock-Welt, wo Menschen es sich tatsächlich leisten können, einen Teil ihrer Ersparnisse dem Risiko auszusetzen verloren zu gehen. Das 30 % der Deutschen überhaupt kein Vermögen und weitere 20 % nur minimalste Vermögen besitzen, dass die Hälfte der Bevölkerung finanziell gar nicht in der Lage ist, auch nur ansatzweise mit ihrem bisschen Kohle am Aktienmarkt Reibach zu machen, davon hat unser Turbo-Neoliberaler noch nichts mitbekommen. Die gehören ja auch nicht zu seiner Klientele.

Interessant auch Merz Einstellung zu den Medien. Da würde sich sicher ein netter Plausch mit Trump ergeben. Nicht, dass er so beleidigend gegen Journalisten hetzen würde, aber lästig sind sie ihm doch. Deshalb freut er sich so über die sozialen Netzwerke, über die man völlig ungestört seine Sicht der Dinge verbreiten und so die “Deutungshoheit behalten” kann. Auf Journalisten könne, wer die Netzwerke geschickt nutze (denkt er da an Trump?), in Zukunft verzichten. “Wir brauchen die nicht mehr. Und das ist das Schöne.” (https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/zapp/Wir-brauchen-die-Medien-nicht-mehr,merz180.html)

Nun, in einer Hinsicht hat er sicher Recht. Auf Facebook, Twitter oder einem eigenen Blog kann er völlig ungefiltert alles raushauen, was ihm beliebt, und alles so einseitig und oberflächlich darstellen, wie er es gerne hat. Und der Einfluss des Internets und der sozialen Netzwerke auf die politische Willensbildung wird unbestritten immer größer. Wenn er sich jedoch der Mühe einer Web-Recherche unterziehen würde, könnte er feststellen, dass da mehr Leute unterwegs sind, die ihm widersprechen als umgekehrt. Übrigens auch Journalisten. Und wie er mit Meinungsmache für seine 65.000 Follower bei Twitter und 37.000 Facebook-Abonnenten (wie viele davon wohl Journalisten sind?) ein paar Millionen Wähler davon überzeugen will ihn zum Bundeskanzler zu machen, ohne all die anderen Nachrichtenkanäle, das wird wohl Merz gut gehütetes Geheimnis bleiben.

Zur Verkündung seiner Kandidatur hat er übrigens doch wieder eine althergebrachte Pressekonferenz einberufen für all die, die er nicht mehr braucht.

Merz ist, auch das eine Parallele zu Trump, niemand, der für Ausgleich steht, für Zusammenführung unterschiedlicher Positionen. Merz polarisiert lieber. Und so ist zweifelhaft, ob er in der Lage sein wird, die zunehmend divergierenden Flügel in der CDU zusammenzuhalten. Zudem vertritt und verbreitet er mit Inbrunst seine Weltsicht und hält, trotz all der Verheerungen, die der radikale Neoliberalismus angerichtet hat, weiter an dieser real-ökonomisch und sozial-politisch längst widerlegten Theorie fest.

In diesem Zusammenhang noch ein Wort zu Merz entlarvender Körpersprache. Der Kopf nach vorne geschoben, leicht gesenkt, die Pupillen oben. Ist er in permanenter Verteidigungsbereitschaft, weil er jederzeit einen Angriff fürchtet und zeigt prophylaktisch: Kommt nur her, wenn ihr euch traut? Oder freut er sich schon auf seine eigene nächste Attacke? Auf jeden Fall: Ein Mann im Angriffsmodus.

Man ahnt, was da auf einen zukommt, sollte Merz Kanzler werden.

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3 Antworten auf „Vor-Merz“

Eine gute Analyse des Sauerländers, seiner Hinter- und Beweggründe. Nur was die Parallelen zu Trump betrifft, muss ich doch auf mindestens einen gravierenden Unterschied aufmerksam machen: Die Frisuren!!

tja, hier karges deutsches hochplateau, eckig, kahl und kantig, sauerländisch und -töpfig, dort verschwenderisches amerikanisches “think-big”, farbenfroh und hässlich.
beides schlimm, beide schlimm – nicht nur auf, besonders in der birne.

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