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Allgemein Artikel und Essays Der tägliche Wahnsinn

Düstere Aussichten

Ich neige nun wirklich nicht zu apokalyptischen Visionen, aber wenn man sieht, was international sich da zusammenbraut, dann hat man beim Durchblättern der Tageszeitung blitzschnell das Script für einen Katastrophenfilm zusammen.

Da häufen sich gerade worst-case-Nachrichten, was die Umwelt angeht, während gleichzeitig in allen Industrienationen darauf verwiesen wird, dass gerade jetzt der Umweltschutz zugunsten der Wirtschaftsförderung zurückstehen muss. Da verschärfen sich, ebenfalls als Folge der Pandemie, die sozialen Gegensätze, national wie international. Die bedrückend hohe Wahrscheinlichkeit vermehrter regionaler Konflikte wird in den nächsten Jahren zusammen mit den Umweltopfern die Zahlen entwurzelter Menschen explodieren lassen und massenhafte Flüchtlingsbewegungen auslösen. Nachdem dreißig Jahre lang die Zahl autokratischer Systeme gesunken und die der Demokratien gewachsen ist, erleben wir gerade wie sich immer mehr Länder zu Papier-Demokratien entwickeln und Wähler Populisten hinterherlaufen und die eigene Entmündigung wählen.

Düstere Aussichten.

In den USA erscheint momentan bzw. im nächsten halben Jahr alles möglich. Wenn es nur Trump wäre. Aber die gesamte republikanische Partei leidet offensichtlich unter paranoider Gehirnerweichung und gewaltbereitem Realitätsverlust. Was da auf dem Parteitag ablief, liegt auf dem Niveau von Idiocracy, nur handelt es sich leider nicht um einen satirischen Film.

Dass Frau und Tochter Trump preisen – geschenkt. Das gehört zum üblichen Parteitags-Seifenopern-Gesülze. Aber vor denen, die da aufgetreten sind, live und in Videobotschaften, als Repräsentanten der Partei und dessen, was Wähler dieser lobotomisierten Politposse mit ihrer Stimmabgabe unterstützen, das muss einem Angst einjagen. Übertrieben? Von wegen, hört euch die Reden an!

Da wären z.B. Mark und Patricia McCloskey, die davor warnten, es könne allen so gehen wie ihnen, nämlich dass „kriminelle Marxisten“ […] „über unsere Nachbarschaft herfallen“ – Black Lives Matter lief friedlich demonstrierend an ihrem Vorgarten vorbei – den sie sofort mit einem Schnellfeuergewehr in der Hand verteidigt haben. Übrigens, das Recht dazu haben sie laut eigenem Bekunden von keinem geringeren als Gott selbst.

Geradezu surreal war das Geschrei von Kimberley Guilfoyle, ehedem Fox-Moderatorin, die zunächst Trump mit ihren Superlativen imitierte, ihn als echten law-and-order Mann pries, um dann allen das Grauen einer Biden-Präsidentschaft vor Augen zu führen: Amnestie für alle Kriminellen, Abschaffung der Polizei, Massenarbeitslosigkeit, weil alle Jobs nach China verlagert werden, Versklavung aller, die an den amerikanischen Traum glauben, Enteignung der Arbeiter- und Mittelklasse, damit Demokraten reich werden. Um sich davon eine Vorstellung zu machen, rät sie sich Kalifornien anzusehen! (Das war jetzt natürlich stark verkürzt. Kimberley ist da viel undifferenzierter. Wer es aushält, sollte es sich mal ansehen: https://www.youtube.com/watch?v=ARz7vqt427o)

So etwas könnte man in seiner ganzen Lächerlichkeit ja noch schulterzuckend weglächeln. Schnellfeuergewehre schon weniger. Erst recht die in den Händen der zahlreichen Milizen, die sich zunehmend einmischen. Während der in den Rücken geschossene und in der Folge querschnittsgelähmte Jacob Blake an sein Krankenbett gefesselt wurde (!!! Kein Witz!!!), erschießt ein 17jähriges Milizmitglied zwei friedliche Demonstranten.

Und noch weniger weglächeln kann man die ganze Inszenierung der Inthronisierung Trumps. Es tut mir Leid, aber dieser Aufmarsch, diese Fahnen, das Pathos und der Schaum vorm Mund, diese geballte Ladung an Hass und Hetze, Propaganda, Lügen und Panikmache erinnert mich fatal an Berlin vor rund 90 Jahren. Nein, das ist nicht mehr an den Haaren herbeigezogen (zu Amerika und Faschismus s. https://www.myview-wolfgangmebs.de/the-times-they-are-a-changing/). Diese Partei und ihre Anhänger treten diesmal nicht nur an, um eine Wahl zu gewinnen. Sie wollen einen Kulturkampf gewinnen. Das sind keine Demokraten mehr, die sich da versammelt haben. Das sind Menschen, die nichts lieber sehen würden als Bürgerkrieg, die alles daran setzen das Land in eine blindwütige Auseinandersetzung zu treiben, um dann rigoros mit allen Liberalen abzurechnen (die entsprechende Orchestrierung in den sozialen Medien ist so offen und ehrlich wie unerträglich).

„Liberal“ natürlich nicht im europäischen Sinne. Dass der politische Liberalismus, das Eintreten für die Freiheit des Einzelnen, die Grundidee der amerikanischen Verfassung ist, spielt hier keine Rolle mehr. Freiheit degeneriert zur Rechtfertigung für die Bekämpfung alles Unliebsamen. Für die versammelte republikanische Meute ist liberal ein Schimpfwort, das sind „fucking liberals“, sprich Kommunisten und Sozialisten und Anarchisten und Schwule und Päderasten und Hollywood und Schwarze und Rote und Gelbe und selbstbewusste Frauen und Umweltschützer und Moslems und und und … Und damit wollen sie aufräumen unter dem Deckmantel ihrer Verschwörungsmythen nach denen ihr politischer Gegner, und das sind alle,  die nicht exakt ihrer Meinung sind, das schönste, größte, tollste etc. Land in ein schwarzes Anarchistenpuff für homosexuelle Muslime verwandeln wollen. Etwas, das sie wie die McCloskeys bis zur letzten Kugel verteidigen wollen. „When the looting starts, the shooting starts“, wie nicht nur Trump verkündete.

Amerika ist so tief gespalten wie wahrscheinlich niemals zuvor, allenfalls vergleichbar mit der Situation vor dem Bürgerkrieg 1861. Die Unversöhnlichkeit, mit der sich die Lager gegenüberstehen, das Pulverfass, das die Republikaner bereit sind anzuzünden, ein politisches Klima in dem Paranoia zur Staatsraison wird, die aufgestaute Wut der Diskriminierten, eine bis ins Kinderzimmer bewaffnete Bevölkerung – all das lässt Schlimmstes befürchten für die Zeit nach der Wahl im November. Dieses Land wird sehr lange nicht zur Ruhe kommen.

Und das könnte nicht nur zu massiven Unruhen in den USA selber führen. Eine Regierung wie die der aktuellen Republikaner (es geht wie gesagt nicht nur um Trump) wird jederzeit bereit sein, alte machiavellistische Prinzipien anzuwenden und die eigene Bevölkerung mit Hilfe eines internationalen Konfliktes hinter sich zu scharen. Angriffsziele bieten sich da genug, allen voran Venezuela und der Iran.

Düstere Wolken auch über dem Mittelmeer. Wir stehen nicht nur vor neuen Flüchtlingswellen, die in den nächsten Jahren zu immer rigoroseren Abwehrmaßnahmen führen werden, wie wir sie in fast harmloser Form an der Grenze zwischen der Türkei und Griechenland beobachten können. Momentan steuert ein anderer Größenwahnsinniger, der wie Trump um seine Vorherrschaft fürchtet, auf einen Krieg zu. Ja, wenn es den Diplomaten der EU und der NATO nicht gelingt Erdogan, nein, nicht zur Vernunft zu bringen (der Versuch wäre wegen der mangelnden Voraussetzungen untauglich), sondern ihn irgendwie davon zu überzeugen, dass er in einer militärischen Auseinandersetzung mehr verliert als er jemals gewinnen kann, dann werden wir bald einen neuen Krieg in Europa haben. Es ist nicht mehr zu leugnen, dass diese Regierung genau darauf zusteuert, politisch, militärisch, rhetorisch. Die Äußerungen des Außen- und des Verteidigungsministers und Erdogans selbst lassen daran keinen Zweifel. Es ist die einzige Strategie, die er in den letzten Monaten anwendet: Erdogan verschärft Konflikte, wo er nur kann, an der Grenze zu Griechenland, in Syrien, in Libyen.

Da hilft keine weichgespülte Diplomatie mehr. Wer Erdogans Teufelsritt stoppen will, muss schon härtere Geschütze auffahren, nämlich politische und ökonomische Isolierung durch EU und NATO. Durchaus nachvollziehbare geopolitische Argumente, dürfen nicht dazu führen, einen Mann gewähren zu lassen, der den Krieg mitten in diese Gemeinschaften führt. Europa hätte ja durchaus auch etwas anzubieten – aber der Türkei, nicht Erdogan! Privilegierte Partnerschaft mit konkreter Hilfe für die angeschlagene türkische Wirtschaft und Visaerleichterungen beispielsweise, die allen Türken zu Gute kämen. Solche Angebote machen allerdings nur dann Sinn, wenn die Alternative unmissverständlich klar gemacht wird.

Die Liste eskalierender Krisenherde ließe sich noch um zahlreiche Beispiele verlängern. Venezuela, Hongkong, Taiwan, Jemen, Kaschmir, Palästina. Wie lange Weißrussland ein lokaler Konflikt bleibt, muss man abwarten. Putin will Lukaschenko auf jeden Fall halten. Wird er wirklich, wie bereits zugesagt, das Regime notfalls auch militärisch unterstützen? Seinen Zusatz: sollten sich ausländische Truppen einmischen, sollte man nicht ernst nehmen. Ausländische Agitatoren lassen sich immer herbeizaubern. Wer Russlands Politik in den letzten Jahren verfolgt hat, kennt Putins Strategie seinen geopolitischen Einfluss zu erhalten, wenn nicht auszuweiten.

All dies kann für die nahe Zukunft nicht optimistisch stimmen. Die Friedensdividende von 1990, wenn es sie denn je gegeben hat, ist endgültig aufgebraucht.

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