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Hoffnung – Antworten auf den Fragebogen von Max Frisch – Teil 2

Einleitung siehe: https://www.myview-wolfgangmebs.de/jahresendlich-besinnliches/

Frage 1: Wissen Sie in der Regel, was Sie hoffen?

Frage 2: Wie oft muss eine bestimmte Hoffnung (z.B. eine politische) sich nicht erfüllen, damit Sie die betreffende Hoffnung aufgeben, und gelingt Ihnen dies, ohne sich sofort eine andere Hoffnung zu machen?

Frage 5: Welche Hoffnung haben Sie aufgegeben?

Ob ich weiß, was ich hoffe? Eindeutig ja, bis auf die Situationen, in denen ich mir noch nicht über eine bestimmte Entscheidung im Klaren bin. Dann muss ich mir erst bewusst machen, was ich mir erhoffe bzw. welche Hoffnung die zentrale, die wichtigere für mich ist. Und was realistisch ist. Hoffnungen gebe ich nicht so schnell auf. Ich laufe ihnen aber auch nicht hinterher, mache mich nicht zu ihrem Sklaven.

Da ist zum einen mein Realismus. Wenn ich mehrmals versucht habe etwas zu erreichen, und es hat nicht geklappt, muss ich das akzeptieren und mich neu orientieren. Es wäre sinnlos Energien zu verschwenden oder untätig auf mehr Glück beim nächsten Mal zu hoffen. Bei Wünschen liegt die Sache etwas anders. Deren Erfüllung kann man ja manchmal aufschieben. Aber das alles ist natürlich von der konkreten Situation, von der Hoffnung, um die es geht, abhängig.

Ich hatte gehofft dieses Jahr noch einmal drei Monate durch die USA reisen zu können, in meinen geliebten Rocky Mountains herumzuklettern, mit Amerikanern zu reden und dem Traum nachzuspüren. Da wird auch nächstes Jahr nichts draus. So bleibt die neue Hoffnung, dass ich noch ein paar Jahre fit genug bleibe, um das nachzuholen. Wie all die anderen Reisen, die ich unternehmen wollte.

Wenn ich hoffe einen Menschen für mich zu gewinnen, sei es für eine Freundschaft oder eine Beziehung, fällt die Entscheidung schnell, denn entweder, da gibt es die vibrations, diese undefinierbaren Schwingungen zwischen zwei Menschen oder eben nicht. Dann bleibt es eben eine Bekanntschaft.

Bei Lebenszielen hängt es davon ab, wie viel eigenen Einfluss ich darauf habe. Nach meinem zweiten Staatsexamen wurde meine Hoffnung, Lehrer zu werden, enttäuscht, denn es gab einen fast völligen Einstellungsstopp. Mir war klar, dass das auf absehbare Zeit so bleiben würde. Also entwickelte ich andere Ziele mit neuen Hoffnungen, war arbeitslos und schrieb Kurzgeschichten, arbeitete freiberuflich und machte schließlich eine Umschulung, und die Hoffnung auf einen Job erfüllte sich. Obwohl ich mir keine wirkliche Hoffnung mehr machte (von einem kleinen, abgelegenen Winkelchen meines Bewusstseins vielleicht abgesehen), wurde ich dann doch noch Lehrer. Die Umstände hatten sich geändert. Glück gehabt.

Was das Weltgeschehen angeht, braucht man schon einen langen Atem, wenn man nicht gleichgültig oder zum Zyniker werden und seine Ideale aufgeben will. Aber man wird ja auch älter, lebenserfahrener, und wenn man wieder und wieder erleben muss, dass sich manche politische Hoffnung nicht erfüllt, dann muss man nicht gleich alterspessimistisch sein, um die eine oder andere Hoffnung fahren zu lassen.

So hoffe ich nach wie vor, dass die Demokratie in Deutschland stärker ist als in den meisten anderen Ländern, da wir unsere Vergangenheit und unsere beispiellosen Verbrechen trotz vieler Einschränkungen gründlich aufgearbeitet haben. Ich hoffe es – trotz des Erstarkens rechter Gruppen, nicht nur der AfD, trotz der viel stärkeren reaktionären Tendenzen in den Ländern rings um uns herum und der Frage, wie lange die Deutschen davon nicht mitgerissen werden. Es gibt ja auch positive Zeichen. Die Jugend wird wieder politisch wacher und sie ist lange nicht so träge und medienverdummt, wie manche behaupten. Dass sie Dinge anders sieht als wir Alten, ist normal und muss so sein und macht Hoffnung, solange sie aus der Geschichte lernt. Alles andere wäre Stillstand. Und der ist hoffnungslos.

Zwei Fälle gibt es dennoch, in denen ich die Hoffnung nach langem Festhalten, Festklammern und Kampf aufgegeben habe.

Erstens: Dass es noch zu meinen Lebzeiten eine sozialistische Gesellschaft geben wird. Das hat nichts mit der DDR zu tun. Das war kein Sozialismus, wie ich ihn verstehe.

Warum? Weil die Grundvoraussetzungen nicht gegeben sind. Eine sozialistische Gesellschaft basiert auf ethischen und kommunardischen Prinzipien und dem Grundgedanken der Solidarität, und die kann nur auf breiter Basis Fuss fassen, wenn Menschen nicht täglich um knappe Ressourcen gegeneinander kämpfen müssen. Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.

Warum ich eine sozialistische Gesellschaft dennoch für möglich halte? Aus demselben Grund! Leben die Menschen in materieller und politischer Sicherheit, dann haben sie auch den Kopf frei für Moral.

Und warum soll die Welt, trotz allem, was mir Sorgen bereitet und mich eine dunkle Zukunft ahnen lässt, nicht besser werden, und sei es, dass sie aus Ruinen wieder aufersteht. Solange es Menschen gibt, so lange gibt es Gut und Böse. Wieso soll nicht einst das Gute dominieren? Das Flämmchen Glaube an das Gute, an den Willen des Menschen zu Solidarität und Kooperation flackert, aber es brennt noch.

Zweitens: Dass die Umwelt noch zu retten ist. Nach 40 Jahren, die ich darüber debattiert habe, beruflich damit zu tun hatte, die Entwicklung verfolgt habe und feststellen muss, dass wir Jahrzehnte verschwendet haben und teilweise sogar da stehen, wo wir in den 80er und 90er-Jahren schon mal waren, glaube ich nicht mehr daran, dass wir unsägliche Katastrophen noch verhindern können. Es geht ja nicht nur um den Klimawandel. Es geht um sauberes Wasser und fruchtbare Böden, um bewohnbares Land und schleichende Vergiftung. Wir haben mittlerweile dermaßen viele Baustellen, so viele drängende Probleme, die zum Teil nicht einmal im Bewusstsein der breiten Öffentlichkeit angekommen sind, dass wir ihrer nicht mehr Herr werden. Das Einzige, was wir noch erreichen können, ist die Katastrophen einzudämmen. Aber nur unter einer Bedingung: Wenn sofort und radikal gehandelt wird. Global. Und dafür sehe ich leider keine Anzeichen. Trotz Fridays For Future, trotz des European Green Deal, trotz Biden und der Rückkehr Amerikas ins Pariser Klimaabkommen. Erstere haben nicht die Macht, das Zweite ist eine Mogelpackung, Letzteres ein zahnloser Tiger. Es geschieht nicht sofort, es ist nicht radikal und die Nationan handeln nicht global.

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