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Hoffnung – Antworten auf den Fragebogen von Max Frisch – Teil 4

Einleitung siehe: https://www.myview-wolfgangmebs.de/jahresendlich-besinnliches/

Frage 20: 

Muss eine Hoffnung, damit Sie in ihrem Sinn denken und handeln, nach Ihrem menschlichen Ermessen erfüllbar sein?

Nein. Hoffnung hat immer auch ein fantastisches, ein irrationales Element. So mag die Lebenserfahrung lehren, dass sich eine bestimmte Hoffnung wohl nie erfüllen wird, und dennoch hält man an ihr fest, weil man das Erhoffte im Prinzip für erstrebenswert hält, weil man diesen Gedanken, diese Vorstellung für so fundamental erachtet, dass man einfach daran festhalten muss.

Dazu gehört die ganz allgemeine Hoffnung auf eine bessere Welt. Ich halte die Hoffnung auf eine gerechte, friedliche Weltgemeinschaft für ziemlich irrational angesichts der Weltlage und der menschlichen Natur (s. Teil 1, 2 und 3). Dennoch halte ich insofern daran fest, als ich mein persönliches Verhalten danach auszurichten versuche.

Dem liegt mein Verständnis von Verantwortungsethik zugrunde. Das bedeutet erstens, dass jeder allein für sein eigenes Verhalten verantwortlich ist. Niemand anders, nicht die Umstände, auch nicht das System, in dem man lebt. Natürlich gibt es Zwangssituationen. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass der Einzelne alle seine Handlungen selbst zu verantworten hat. Sonst hätte es z.B. die Nürnberger Prozesse, die NS- und Mauerschützenprozesse nie gegeben.

Für mein eigenes Leben bedeutet dies zweitens, dass ich bemüht bin, mich so zu verhalten, wie ich es mir von allen wünsche, auch wenn ich weiß, dass das weder realistisch ist, noch dass ich das von jedem erwarten kann. Ich schaffe es ja nicht mal selbst, mich stets rücksichtsvoll, solidarisch, nachhaltig, unvoreingenommen und gesetzestreu zu verhalten. Heilige gibt es nur in der Religion.

Was einen persönlich aber davor bewahren mag, zum Zyniker zu werden. Zyniker kennen keine Hoffnung. Außer der, dass sich ihr Negativismus bestätigt.

Verantwortungsethisch zu handeln heißt für mich auch, mich an bestimmte ethische und moralische Prinzipien zu halten, obwohl ich weiß, dass ich damit ein bestehendes Problem nicht löse, nicht aus der Welt schaffe, dass ich alleine die Welt nicht grundlegend verändere. Es gibt Mord und Totschlag, Folter, Vergewaltigung, Diebstahl und Betrug, egal wie ich mich verhalte. Dass man trotz dieses Bewusstseins der Nichterfüllbarkeit einer Hoffnung, etwa die einer friedlichen, gewaltfreien Welt, weiter an ihr festhält, mag irrational erscheinen. Aber man ist zumindest nicht selbst an dieser Unerfüllbarkeit beteiligt.

Nehmen wir die Umweltproblematik. Natürlich weiß ich, dass mein persönlicher Beitrag infinitesimal klein ist. Ob ich Plastik vermeide oder nicht, ob ich Hafermilch trinke statt Kuhmilch, benzinsparend fahre, kein T-Shirt für 2 € kaufe, meinen Fleisch- und Fischkonsum reduziere oder ganz aufgebe – oder eben nicht. Ich alleine rette die Umwelt bestimmt nicht. Und ich alleine zerstöre sie auch nicht! Dennoch versuche ich, mich möglichst wenig zerstörerisch zu verhalten, unabhängig von dem, was andere tun, und wie sie darüber denken. Weil ich es für richtig halte.

Wer das Angebot eines Handwerkers ablehnt, doch das eine oder andere unter der Hand abzurechnen, wird im Allgemeinen belächelt, als naiv, gar dumm verlacht, ebenso wer eine ehrliche Steuererklärung abgibt. Stattdessen sollte man diese Leute bewundern, denn sie halten ihr persönliches Ethos aufrecht, sie schwimmen nicht mit der Masse, suchen nicht die billige Ausrede, sondern leben, aller Realität und Gutmenschen-Spott zum Trotz, die Hoffnung, dass es auch anders sein kann! Vielleicht ist auch die Hoffnung damit verbunden, ein Vorbild zu sein. Oder die, Avantgarde zu sein. Oder die, sich nicht selbst schlecht fühlen zu müssen, jetzt oder später einmal.

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