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Rechtes Rechtsverständnis

Thüringen scheint ja schon des Längeren eine Region, in der rechtes Gedankengut prächtig gedeiht; eine politische Affinität, der sich auch die Judikative immer offener nicht entziehen will. Dort hat das Landgericht Mühlhausen ein wirklich bemerkenswertes Urteil gefällt, mit einer nicht weniger bemerkenswerten und vielsagenden Begründung.

Worum ging es? Um zwei szenebekannte Neonazis, die 2018 einen Journalisten und seinen Kollegen verfolgt und massiv verletzt haben. Dem einen schlugen sie den Schädel ein, auf den anderen wurde eingestochen. Selbst die Angeklagten waren verblüfft angesichts des mehr als milden Urteils: Ein Jahr auf Bewährung für den einen, 200 Sozialstunden für den jüngeren Täter. So weit, so schlecht.

Der eigentliche Skandal aber ist die Begründung. Das Gericht sah keinen gezielten Angriff auf Journalisten, d.h. indirekt auf die Pressefreiheit, und somit keine politische Motivation. Also haben die beiden einfach Spaß an brutaler, willkürlicher Gewalt, und dafür haben die Mühlhausener Richter viel Verständnis und lassen Milde walten? Noch schlimmer: Die Angeklagten seien wohl davon ausgegangen, dass es sich um Mitglieder der linken Szene handelte!

Was mag im Kopf der Vorsitzenden Richterin vorgegangen sein? Die letzten Hetzschriften der AfD? Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen, zur Not auch mit einem Schraubenschlüssel? Panische Angst vor dem links-grün versifften Milieu? Selten hat es ein Gericht in Deutschland so nonchalant, so ehrlich gesagt: Solange Linke krankenhausreif geschlagen und abgestochen werden, ist das alles halb so wild – und völlig unpolitisch. Das alleine sind schon mildernde Tatumstände. Also, liebe Neonazis, wenn ihr Mal wieder euren ganzen dumpfbackigen Frust völlig unpolitisch rausprügeln wollt, sucht euch die richtigen Opfer aus, dann dürft ihr auch weiter frei herumlaufen.

Das i-Tüpfelchen auf dem Skandal ist der offensichtliche Unwillen der thüringischen Justiz, den Fall überhaupt zu verfolgen und die schwere Körperverletzung von Journalisten und erst recht von Menschen mit linken Einstellungen zu ahnden. Vier Jahre, sagenhafte vier Jahre lang verschleppte das Gericht das Verfahren – in dessen Verlauf dann auch noch Beweismaterial verschwand.

Das liebevolle Verständnis für schwarzbraune Kreise ist in der thüringischen Justiz leider kein Einzelfall. So ließ das Landgericht Erfurt neun Rechtsradikale, die eine Kirmesgesellschaft überfallen und mehrere Menschen schwer verletzt hatten, mit einer Bewährungsstrafe davonkommen. Und noch einmal Mühlhausen: Der Vater eines der Angeklagten in obigem Verfahren erstattete Anzeige gegen einen auf Rechtsextremismus spezialisierten Journalisten. Unverzüglich (!) wurde die Wohnung des Reporters durchsucht. Wahrscheinlich um zu verhindern, dass der Beweise für seine Enthüllungen vernichtet.

Kein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die Staatsanwaltschaft hat übrigens Revision eingelegt. Wollen wir hoffen, dass die Angeklagten dann mit weniger rechtsgeneigten Richtern zu tun haben.

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