Wie war das noch mit den Menschenrechten? Wollte sich die EU nicht verstärkt dafür einsetzen? Stand da nicht in Deutschland ein Lieferkettengesetz auf der Tagesordnung? Hatte die Bundesregierung nicht hervorgehoben, welch wichtige Rolle Wirtschaftsethik in Zukunft auf ihrer Agenda spielen solle?
Stattdessen hat Angela Merkel, um der deutschen Ratspräsidentschaft zum Abschluss noch einen netten, vollmundigen Pressetermin zu ermöglichen, Vollgas gegeben bei den lange zähen Verhandlungen mit China über ein Investitionsabkommen. Von der Leyen, Merkel und Charles Michel, der EU-Ratsvorsitzende, sind begeistert:
„Die heutige Einigung ist ein wichtiger Meilenstein in unseren Beziehungen zu China und für unsere wertebasierte Handelsagenda“, sagte von der Leyen1. Damit kein Missverständnis aufkommt: Gemeint hat sie monetäre Werte. Und finanzielle. Ach ja, und ökonomische.
Anders als behauptet haben die Unterhändler jedoch nur sehr überschaubare Zugeständnisse errungen. Der chinesische Markt öffnet allenfalls ein Katzentürchen. Umgekehrt werden die wenigen Marktbeschränkungen für chinesische Investoren in der EU weiter reduziert. Kritiker verweisen darauf, dass China nun quasi den Status eines EU-Landes erhält, ohne selbst dieselben Kriterien erfüllen zu müssen.
China hat sich zum Marktzugang für alternativ angetriebene Fahrzeuge verpflichtet. Donnerwetter! Da sind europäische und vor allem deutsche Autobauer ja sowas von Weltspitze. Die eine oder andere Joint-Venture-Auflage soll abgeschafft werden, z.B. bei der Besetzung des Führungspersonals und, welch ein Durchbruch, beim Aufbau privater Krankenhäuser! Auch der Marktzugang für IT-Dienstleistungen wird erleichtert. Europäische Unternehmen können bei öffentlichen Ausschreibungen in China nicht mehr per se ausgeschlossen werden. Wie viel das allerdings in der Praxis wert ist, muss sich erst noch erweisen.
Und wie war das mit der Verletzung von Menschenrechten, die die EU und Ursula von der Leyen nach eigenem Bekunden weltweit konsequent ahnden wollten? „Wir müssen für die Menschenrechte und für die Grundfreiheiten eintreten“ und „diejenigen zur Verantwortung [ziehen], die die Menschenrechte missachten oder gegen sie verstoßen“2, hatte sie wie gewohnt vollmundig erklärt.
Nun, Arbeitnehmerrechte in deutschen Niederlassungen und Joint Ventures wurden bei den Verhandlungen von vornherein völlig ausgeklammert. Man kann wohl davon ausgehen, dass das Thema auch auf EU-Seite keine sonderliche Begeisterung hervorrief, schließlich verhandelte man ja ein Investitionsabkommen – und was lieben Investoren an Diktaturen? Eben. Dafür erklärte sich die chinesische Regierung bereit, keine Arbeits- und Umweltschutzstandards zu senken. Und geradezu sensationell, man fragt sich, mit welchem Geschick die Verhandlungsführer den Chinesen dieses Zugeständnis abgerungen haben, ist die Erklärung „auf modernisierte Schutzstandards und Streitbeilegung“ hinzuarbeiten, sowie die Verpflichtung für eine Umsetzung einzelner Bestandteile der Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die die Abschaffung der Zwangsarbeit betreffen, „anhaltende und nachhaltige Anstrengungen“ zu unternehmen. Im Klartext: Das kann dauern. Nichts wird sich ändern.
Man kann solche Floskeln als Durchbruch auf dem Weg zu mehr Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit feiern oder weniger bulletin-poetisch als unverbindliches Wortgeklingel betrachten, das den Chinesen nichts, aber auch gar nichts abverlangt, und der EU ein Feigenblatt liefert, mit dem die wahren Interessen ein wenig aufgehübscht werden können, nämlich, dass es allein um eines ging: Vorteile gegenüber Weltmarkt-Konkurrenten. Eines ist vollkommen klar: Deutsche Firmen von Adidas über BMW und Siemens bis VW (https://www.myview-wolfgangmebs.de/echt-jetzt/¸https://www.myview-wolfgangmebs.de/demokratiedaemmerung/) werden auf unabsehbare Zeit weiterhin Profit auf dem Rücken von uigurischen Zwangsarbeitern machen.
Und das alles zu einem Zeitpunkt, zu dem China den Druck auf die Bürgerrechtsbewegung in Hongkong massiv erhöht und alles, was mit Selbstbestimmung und Demokratie zu tun hat, unter dem autokratischen Stiefel zermalmt. Deutlicher kann die EU nicht machen, dass sie keinerlei gesteigertes Interesse daran hat, mit China ernsthaft in eine Debatte über Menschenrechte und Unterdrückung einzutreten und sich offensiv für politische Freiheiten einzusetzen. Dafür ist der chinesische Markt zu wichtig. Auch zukünftig weiß die chinesische Führung: Alles, was wir bieten müssen, ist ein Feigenblatt. Ein ganz kleines.
Manche deutschen Kommentatoren halten das Abkommen gerade zum jetzigen Zeitpunkt auch für einen Affront gegenüber den Amerikanern und ihrer Chinapolitik. Dass ihnen, Biden eingeschlossen, der Abschluss einer solchen Vereinbarung mit China gegen den Strich geht – geschenkt. Die sehen ohnehin allein die für sie nachteiligen ökonomischen Implikationen. Menschenrechtliche Erwägungen haben für amerikanische Administrationen nie eine mehr als marginale und zu allererst propagandistische Rolle gespielt. Wie man nicht zum ersten Mal sieht, gilt dies ebenso für die EU.
2 https://www.reuters.com/article/eu-menschenrechte-belarus-idDEKBN2671FG
Eine Antwort auf „Unter den Rädern der Ökonomie – Die EU, China und ihre Opfer“
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