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Vorwärts in die Vergangenheit

Man kann es nicht anders sagen: Eine autokratische, religiös verblendete Minderheit gefährdet massiv Demokratie, Rechtsstaat und Menschenrechte in den USA. Diese Bewegung, der Donald Trump noch mal so richtigen Aufschwung gegeben hat, ist nichts Neues in diesem von arrogantem Nationalismus bestimmten Land. Aber jetzt bestimmt sie (fast) vollends die politische Agenda.

Diese Bewegung, der 75 % der Republikaner (und selbst manche Demokraten) ergeben folgen, ist reaktionär, bigott und menschenverachtend und gerade sehr erfolgreich darin, der viel gerühmten und beschworenen amerikanischen Freiheit den Rest zu geben.

Über die Notwendigkeit, legal abtreiben zu können, brauchen wir hier gar nicht zu reden. Die sollte selbstverständlich sein. Auch was alles falsch ist an den Waffengesetzen der USA, muss nicht wiederholt werden. Dass Klimaschutz ganz oben auf der Prioritätenliste stehen sollte, genauso wenig. Was Europäer so fassungslos macht, ist die blindwütige Verweigerung dieser Richter und eines nicht unerheblichen Teils der amerikanischen Bevölkerung, sich der Realität zu stellen.

Ebenso fassungslos macht die Begründung all dieser Entscheidungen, deren Kern die mythologische Bedeutung der Gründungsväter und der Verfassung ist. Das, was 1776 geschrieben und durch einige wenige Ergänzungen, den Amendments, in derselben Epoche erweitert wurde, ist in den Staaten sakrosankt. Da trauen sich selbst Demokraten nicht ran.

Obwohl damals Frauen trotz der hehren Ansprüche der Verfassungsväter in allen Lebensbereichen diskriminiert und als dem Mann gegenüber minderwertig betrachtet wurden und über Abtreibung nicht mal im Ansatz diskutiert wurde, soll diese Verfassung die Richtschnur hergeben dafür, inwieweit Frauen über ihren eigenen Körper verfügen dürfen.

Stattdessen gilt als Richtschnur die Einstellung von Leuten mit sexueller Paranoia und religiösen Wahnvorstellungen. Da interessiert das Elend, dem sie vergewaltigte Frauen, Opfer von Inzest und sozial-ökonomischer Deprivation aussetzen, nicht im Geringsten. Diesen erbarmungswürdigen Kleingeistern ist die eigene moralische Selbstüberhöhung wichtiger.

Ähnliches gilt für die Waffengesetze. Da eröffnet der Supreme Court den Fanatikern die Möglichkeit, noch leichter an Waffen zu kommen und noch mehr Menschen, die ihnen auf welche Art auch immer in die Quere kommen, ins Jenseits zu befördern. Warum? Weil das in der Verfassung steht, die entstand, als der nächste Sheriff meilenweit entfernt war, als es noch keine allgegenwärtige Polizei gab, die Schwarze und andere Bösewichte abgeknallt hat. Da musste man das noch selber tun. Und deshalb darf man heute in vielen Bundesstaaten mit offen getragenem Pistolengurt herumlaufen. Damit Amerika sicherer wird. Wie man an den letzten Jahrzehnten ja unschwer erkennen kann.

Als Michael Moore 2002 Bowling for Columbine drehte, fragte er sich, wieso in den USA jedes Jahr 10-11.000 Menschen durch Schusswaffen sterben. Zwanzig Jahre später sind es 21.000 (davon über 1.000 unter 18 Jahren)! Plus 40.000 Verletzte (fast 5.000 unter 18)! Was wahrscheinlich beweist, dass ca. 400 Mio. Schusswaffen für 330 Mio. Einwohner einfach zu wenig sind.

Die dritte Entscheidung des Supreme Court in der letzten Woche ist ähnlich zukunftsweisend (leider nicht satirisch gemeint). Der Staat darf keine Obergrenzen festlegen für (CO2) Emissionen. Weil die Gründungsväter so weise waren und den menschengemachten Klimawandel als Fake News erkannten. Die haben damals den Bericht des Club of Rome genau studiert und es den Siedlern im Wilden Westen selbst überlassen, ihre Emissionswerte festzulegen. Eben genauso wie die von Bleikugeln.

Nun handelt es sich in diesen drei Fällen um Entscheidungen gegen die (Umfrage)-Mehrheit der Amerikaner. Da gäbe es eine Lösung. Dieses Volk muss endlich begreifen, dass man Demokratie leben muss und dass es dazu nicht ausreicht, sich für das freieste und klügste und innovativste etc. Volk der Welt zu halten – das muss man auch durch Taten beweisen! Geht endlich massenhaft und dauerhaft auf die Straße, fangt endlich an euch zu informieren auch bei außeramerikanischen Lebensformen, wie die ihre Probleme lösen. Und vor allem, wundert euch nicht über eure unterirdischen Gouverneure, wenn nur die radikalen Ewiggestrigen zur Wahl gehen und 70 % von euch den Hintern nicht wenigstens dafür vom Sofa hochkriegen. Geht endlich wählen, wenn ihr wollt, dass das Wahlrecht von Minderheiten nicht weiter beschnitten, wenn Homosexuelle heiraten können, wenn Frauenrechte nicht abgeschafft werden sollen (vom Frauenwahlrecht hielten eure Verfassungsheiligen übrigens nichts. Gar nichts.).

Eine schweigende, passive, fatalistische Mehrheit bleibt auf ewig die Minderheit, wenn es um Reformen geht. Und bei euch, liebe Amerikaner, geht es mittlerweile ums Ganze. So stolz ihr auf Plymouth Rock sein mögt, wollt ihr wirklich leben wie vor 250 Jahren?

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