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Antworten auf den Fragebogen von Max Frisch – Teil 7

Einleitung siehe: https://www.myview-wolfgangmebs.de/jahresendlich-besinnliches/

Frage 6:

Wie viele Stunden im Tag oder wie viele Tage im Jahr genügt Ihnen die herabgesetzte Hoffnung: dass es wieder Frühling wird, dass die Kopfschmerzen verschwinden, dass etwas nie an den Tag kommt, dass Gäste aufbrechen usw.?

Das lässt sich nicht zeitlich eingrenzen, aber solche alltäglichen Hoffnungen spielen wohl für jeden eine große Rolle. Obwohl sie eigentlich nicht besonders schwer wiegen, obwohl sie nicht entscheidend sind für unser Leben, so rufen sie immer wieder Zuversicht hervor, denn viele, wenn nicht die meisten dieser Hoffnungen, erfüllen sich ja. Die Kopfschmerzen verschwinden (vor allem, wenn wir medikamentös nachhelfen), irgendwann sind die Gäste in der Tat wieder zu Hause, und die Tage werden garantiert wieder länger. Und sollte sich die Hoffnung, kurz vor Ladenschluss doch noch ein frisches Brot zu bekommen, nicht erfüllen, ist das kein harter Schicksalsschlag.

Frage 12:

Genügen Ihnen die privaten Hoffnungen?

Um ein zufriedenes Leben zu führen im Großen und Ganzen ja. Andererseits bin ich ein sehr politischer und humanistisch geprägter Mensch und beschäftige mich täglich mit Dingen, die in größeren Zusammenhängen geschehen, und mit den Schicksalen anderer Menschen. Und vieles von dem, was ich da beobachte, berührt mich auch persönlich, erschreckt mich, macht mich wütend. Insofern genügt es mir nicht, persönlich zufrieden zu sein. Ich wäre ein optimistischerer Mensch, wenn sich auch die Hoffnungen der Mehrheit erfüllen würden – täglich satt zu werden, in Sicherheit zu leben, sich selbst verwirklichen zu können. Aber ich bin auch nicht selbstquälerisch veranlagt und verliere deswegen nicht die Freude an meinem eigenen Leben.

Wäre Trump wiedergewählt worden, hätte ich geflucht wie ein Rohrspatz, aber der abendliche Auflauf hätte mir trotzdem gemundet. Die neuesten Meldungen über steigende Temperaturen und das Abschmelzen des Grönlandeises verstärken das ungute Gefühl für die Zukunft der Erde, aber ich genieße dennoch die Sonnenstrahlen, wenn ich spazieren gehe.

Frage 7: Kann Hass eine Hoffnung erzeugen?

Jein. Nein, wenn man unter diesem Begriff eine positive Veränderung oder die Aufrechterhaltung eines positiven Zustandes versteht. Ja, weil es auch (selbst)zerstörerische, negative Hoffnungen gibt. Hass erzeugt den Wunsch nach Rache, nach Bestrafung und Erniedrigung und sogar nach Vernichtung. Hat sich diese ‚negative Hoffnung‘ erfüllt, gibt es nur den kurzen Moment der inneren Befriedigung und danach die große Leere, insbesondere, wenn das Objekt des Hasses eliminiert wurde. Dann müsste man Frage 4 (nach der Dauer, für die man die Erfüllung einer Hoffnung als richtig, als positiv empfindet) beantworten mit: Fünf Minuten, höchstens einen Tag.

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