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Antworten auf den Fragebogen von Max Frisch – Teil 8

Einleitung siehe: https://www.myview-wolfgangmebs.de/jahresendlich-besinnliches/

Frage 10:

Können Sie einen Menschen lieben, der früher oder später, weil er sie zu kennen meint, wenig Hoffnung auf Sie setzt?

Nein. Und das gilt auch umgekehrt. Liebe beruht (u. a.) auf gegenseitigem Vertrauen, beruht darauf, sich auf den Anderen verlassen zu können. Das gilt übrigens auch für eine Freundschaft.

Wenn jemand keine Hoffnung mehr auf mich setzt, dann habe ich ihn oder sie ja wohl dauerhaft enttäuscht. Das würde bedeuten, dass ich mich fragen muss, ob ich diesen Menschen überhaupt ehrlich geliebt habe!

Vielleicht habe ich von vornherein die Hoffnungen nicht erfüllen können, was daran liegen könnte, dass sich diese Person in mir getäuscht hat, sich falsche Hoffnungen gemacht hat. Was ebenfalls eine unzureichende Voraussetzung für Liebe ist. Dann muss man akzeptieren, dass man nicht für eine tiefe Beziehung mit diesem Menschen geschaffen ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass meine Gefühle unverändert innig wären mit dem Bewusstsein, dass meine Partnerin oder mein Freund von mir nichts mehr erwartet. Das würde nämlich auch bedeuten, dass ich (vielleicht zu Recht) weniger geachtet werde. So etwas zerstört auf Dauer die gemeinsame Basis.

Natürlich gibt es keine Beziehung ohne enttäuschte Hoffnung! Das wäre nur möglich mit einem völlig selbstlosen, sich hundertprozentig dem anderen anpassenden und unterwerfenden, sich selbst aufgebenden Menschen. Ich halte die Vorstellung, dass Liebe alles verzeiht, für nur bedingt richtig, und eine Liebe, die sich zufrieden gibt damit, immer nur zu geben, für Selbstbetrug.

Wahre Liebe kann alles geben, ohne sich selbst aufzugeben.

Die Vorstellung, nie enttäuscht zu werden, beruht auf dem Prinzip, sich den Partner selbst zu schnitzen. Und so lebensfremd muss man schon sein, um zu glauben, dass der Freund, dass die Freundin hundertprozentig alle Wünsche, alle Hoffnungen erfüllen kann. Es gibt immer Differenzen zwischen zwei Menschen. Und jeder macht Fehler. Deshalb muss man von seinem Partner eine gewisse Frustrationstoleranz erwarten, wobei das selbstverständlich nur weniger wichtige Punkte betrifft oder einmalige Enttäuschungen. Wer aber in grundlegenden Dingen immer wieder enttäuscht, etwa was Treue, Unterstützung in Krisen, Fürsorge bei Krankheit betrifft, der zerstört Vertrauen. Und wer weiß, dass der Partner, der Freund kein Vertrauen mehr in einen setzt, der wird selbst das Vertrauen verlieren. Er wird aufhören wahrhaftig zu lieben.

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